Werner Pfister, Zürichsee-Zeitung (20.04.2010)
Die Drehbühne dreht sich und dreht sich – das Opernhaus zeigt eine weder szenisch noch sängerisch durchwegs überzeugende Inszenie- rung der «Luisa Miller». Dennoch gabs grossen Applaus.
«Luisa Miller» ist Giuseppe Verdis vierzehnte Oper und die dritte (von insgesamt vieren), die er auf ein Drama Friedrich Schillers komponierte, nämlich «Kabale und Liebe». Ein bürgerliches Trauerspiel, in welchem sich das ganze Kraftfeld zeitgenössischer dramatischer Möglichkeiten um 1770 vergegenwärtigte, von Klopstocks Religiosität über Lessings Psychologie bis zum sozialkritischen Realismus eines Lenz und Klinger. Das Freiheitsverlangen der damaligen Geniebewegung spielte bei Schiller eine ebenso wichtige Rolle wie die empfindsame Sehnsucht nach dem gleichschlagenden Herzen. Übrigens war es Schiller, der dem Stück eigentlich den Titel «Luise Millerin» geben wollte. Verdis Operntitel ist somit sozusagen «original», und er deutet damit (wie auch Schiller) an, dass Luise allein und nicht etwa das Liebespaar die Hauptperson ist.
Liebesgeschichte steht im Zentrum
Die soziale Sprengkraft von Schillers Versen konnte Verdi aufgrund der politischen Verhältnisse um 1849 jedoch nicht übernehmen, sie wäre sofort der Zensur anheim gefallen. Die philosophische Dimension – dass man mit seinen absoluten Gefühlen angesichts der Endlichkeit der Existenz resigniert, was Luisa tut, oder die Erfüllung dieser absoluten Liebe in der endlichen Welt erzwingen will, was Rodolfo versucht – schien ihn wenig zu interessieren. «Luisa Miller» konzentriert sich auf die moralische Dimension des Stoffes, auf die pathetische Sprache der Unbedingtheit jeder Figur. Die sozialkritischen Momente sind weitgehend eliminiert; die Akzente liegen allein auf der Liebes- und Leidensgeschichte.
Hier setzt die Neuinszenierung an, und dies in einer Szenerie, die sich bildnerisch an die Entstehungszeit des Trauerspiels anlehnt. Paolo Fantin baute einen Einheitsraum, wobei die Wände in der unteren Hälfte auf die «untere» Schicht von Vater und Tochter Miller Bezug nehmen, in der oberen die «gehobene» Schicht des gräflichen Hofes abbilden. Das Bühnenbild soll Sinnbild sein und wird es im Verlauf der Aufführung immer mehr. Vom Boden erheben sich Wände, die trennen – nicht nur räumlich zu sehen, sondern auch sozial zu verstehen –, und zum Schluss der Aufführung senken sie sich wieder: Alle sitzen sie im gleichen Raum, im selben Boot.
Das Ausweglose dieser Situation verdeutlicht Regisseur Damiano Michieletto durch eine Drehbühne. Alles dreht sich ständig im Kreis, sozusagen über Generationen hinweg, denn zu Luisa und Rodolfo gesellt er zwei Kinderstatisten: Luisa als Kind, Rodolfo als Kind. Damit soll angedeutet werden, dass diese beiden von ihren Vätern nie aus ihrer Kinderrolle entlassen wurden. Nun ja.
Figuren werden weggedreht
Problematischer ist der forcierte Einsatz der Drehbühne. Kaum beginnt eine Arie, ein Duett oder Ensemble, so dreht sie sich. Genau hier, wo man Figuren inszenieren müsste, werden sie weggedreht. Und dies regelmässig so lange, bis sie fast aus dem Blickeld entschwinden, und das ist dann der Moment, wo sie sich zu bewegen beginnen und wieder nach vorn an die Rampe kommen. Statt einer inneren Motivation oder einer seelischen Befindlichkeit ist es vor allem das Drehmoment, das die Figuren bewegt – jedenfalls gewinnt man im Verlauf der Aufführung immer stärker diesen Eindruck. Die Drehbühne dreht sozusagen an Ort, auch im übertragenen Sinn.
Musikalisch steht diese Neuinszenierung vor allem dank Massimo Zanetti auf respektablem Niveau. Souverän hält der Dirigent die Fäden in der Hand und entfaltet Spannung immer wieder aus Instrumentalfarben und Zwischentönen heraus. Genauigkeit und Leidenschaftlich- keit gehen Hand in Hand, ein wohlkalkuliertes und spontan feuriges Musizieren zu gleichen Teilen. Der von Ernst Raffelsberger einstudierte Chor der Oper Zürich nimmt seine musikalischen Aufgaben kompetent wahr, bleibt aber – im Rahmen des Regiekonzepts – ziemlich blass.
László Polgár (Graf von Walter) und Leo Nucci (Miller) sangen ihre Partien bereits in der letzten Inszenierung vor zwölf Jahren. Vermag Leo Nucci nach wie vor durch robuste, urgesunde und vor allem höhensicherere Töne zu überzeugen, kann Polgár stimmliche Defizite kaum mehr kaschieren. Für einen profunden Verdi-Bass wünschte man sich da mehr Fundament. Fabio Armiliato verlegte sich als Rodolfo von allem Anfang an aufs Forcieren, so dass die Stimme schon kurz vor Ende des ersten Aktes teilweise aussetzte. Im zweiten Teil der Aufführung vermochte er sich allerdings zu steigern, nicht zuletzt mit der schön auf Legatolinie gesungenen Arie «Quando le sere al placido».
Beeindruckende Debüts
Liliana Nikiteanu war in Spiel und Gesang eine sehr präsente, fast pompöse Federica, was zur Rolle prima passte; Ruben Drole machte aus dem Schlossverwalter Wurm eine perfekte Charakterstudie. Beides beeindruckende Rollende- büts. Barbara Frittoli meisterte die grossen Anforderungen der Titelpartie mit grosser Souveränität. Immer wieder liessen Höhenglanz und Agilität ihrer Stimme aufhorchen, und dass sich zuweilen leichte Schärfen im Timbre bemerkbar machten, konnte diese beeindruckende Leistung kaum schmälern. Wie gesagt, grosse Applaus-Salven zum Schluss.