Herbert Büttiker, Der Landbote (20.04.2010)
Auf der Opernhausbühne arbeiten mechanische Kräfte fürs spektakuläre Bild, davor das Orchester als emotionales Kraftwerk. Verdis «Luisa Miller» ist ein starkes Stück, und es lebt von den Stimmen, wie so und so zu erleben war.
«Luisa Miller» wird nicht zu den Hauptwerken Giuseppe Verdis gezählt, ist aber durchaus präsent, stärker jedenfalls als «Il Corsaro», der im Opernhaus vom selben Inszenierungsteam Anfang der Saison vorgestellt worden ist. Die neueste Begegnung mit der 1849 in Neapel uraufgeführten dritten Oper Verdis nach einem Stück von Friedrich Schiller («Kabale und Liebe») liess aber keinen Zweifel daran, dass dieses Stück über zerstörerische Familien- und Liebesbeziehungen zu den Hauptwerken zu zählen wäre und man sich im innersten Kreis von Verdis Dramatik befindet, mit Perspektiven, die hin zum Spätwerk führen, etwa mit der Todesszenerie des offen komponierten Finales, das an «Otello» denken lässt. Die Kunst, die geschlossenen Formen in den dramatischen Verlauf einzubetten und das «Rezitativ» zur dramatischen Musik zu verdichten, prägt die Oper weithin, die gerade auch von der starken Wirkung feinzeichnerischer Momente zwischen den glühenden Arienkantilenen lebt.
Dass das in den berührend leisen und wuchtigen Ausbrüchen an dieser Premiere eindrücklich zur Geltung kam, war nicht zuletzt ein Verdienst des Orchesters, das die reich ausgearbeitete Partitur in aller Detailfülle und in ihrer ganzen unerhörten Energie hörbar machte. Am Pult wachte Massimo Zanetti feinnervig und mit grossem Elan über eine äusserst expressive Differenzierung in Dynamik und Tempo und damit auch die psychologische Intensität – immer wieder in diesem Stück die Intimität der Klarinette – des psychologischen Kammerspiels.
Als solches setzen Damiano Michieletto (Inszenierung), Paolo Fantin (Bühne) und Carla Teti (Kostüme) das Stück in Szene, wobei der Realismus der Figuren und ihres Beziehungsspiels vom Bühnenbild durchbrochen wird. Ein geschlossenes Raumgeviert signalisiert in surrealer Art spiegelverkehrt oben die höfische und unten die bürgerliche Welt und erweist sich bald als komplexe Maschinerie in der Kombination von Drehbühne und Hebevorrichtung, mit der Böden zu Wänden werden und die anfänglich klare Schichtung mehr und mehr durcheinandergerät. Videoprojektionen ergänzen das grossräumliche Bildgeschehen, die Schlieren des sich im Wasser auflösenden Gitfts überziehen am Ende die Wände.
Dabei bleibt der Fokus auf die Akteure gerichtet, und da rücken die beiden Kinder mit in den Blick, die stumm den Knaben Rudolf und die kleine Luisa verkörpern – Sohn und Tochter, auf die die Väter alle Liebe, alle Erwartungen ans Leben projiziert haben, und die sie als Erwachsene damit ins Unglück stossen. Der Regieeinfall, der zum freien Umgang mit dem Raum auch den mit der Zeit fügt, hat viel Berührendes, doch alles assoziative Hinterfüttern der Handlung ändert nichts daran, dass die Gesangspartien mit ihren Herausforderungen, in Stimme und Musikalität Charakter und Schicksal zu gestalten, die Blutadern der Oper sind.
Die Blutadern der Oper
Das Blut wallte mal kräftiger, mal dünner, und selbst der Favorit des Abends, der Tenor Fabio Armiliato, hatte seinen Schwächemoment im Finale des ersten Aktes, wo ihm die dramatische Attacke die Stimme verschlug. Gefährdet blieben dann auch im zweiten und dritten Akt einige der Kulminationspunkte, aber trotzdem: Zu erleben war ein Rodolfo nach Noten, impulsiv und leidenschaftlich, musikalisch griffig und klangvoll.
Mit fahriger Höhe und sehr unausgeglichen begann Barbara Frittoli den Abend, und die Höhe blieb ein Problem. Aber aus der Mittellage heraus gewann ihre Luisa immer wieder auch innige Ausstrahlung, die insbesondere im dritten Akt die Figur erfüllte; ergreifend etwa das wirklich «delicatissimo» gestaltete Andantino im Duett mit dem Vater, dann die Preghiera. Leo Nucci als Vater Miller war der Dritte im Bund einer italienischen Starbesetzung, mit imponierendem Auftritt im ersten Akt, wo «grandioso» angesagt ist, zu stentorhaft in der Gebrochenheit des dritten.
Wenig einheitlich auch der Eindruck der Hausbesetzung für die weiteren Partien. Die Skala reichte da vom fahlen, etwas orientierungslos wirkenden Lászlo Polgár zur souveränen Liliana Nikiteanu als Federica und zu Ruben Drole, der lustvoll grimmig den Fiesling Wurm gestaltete, stimmlich prägnant, darstellerisch vielleicht zu heftig auf der Suche nach dem «Komischen», von dem Verdi in Bezug auf diese Figur geprochen hat. Es ist nicht der einzige Punkt für Fragzeichen bei der Personenführung. Der Chor ist mit zahlreichen, aber dramaturgisch nebensächlichen Auftritten musikalisch schön präsent, aber so schematisch geführt wie hier erst recht eine Verlegenheit. Zu erwägen wären viele weitere Details, alles in allem aber hat das Opernhaus einen weiteren Verdi wieder im Repertoire, der bei allen Einwänden nicht kalt lässt.