«Aida» im französischen Plüschdekor

Sibylle Ehrismann, Zürcher Oberländer (30.05.2006)

Aida, 28.05.2006, Zürich

Die «Aida», nicht im Hallenstadion oder in der Arena von Verona, sondern im intimen Opernhaus Zürich ist voll musikalischer Konzentration und stimmlicher Finessen bis in kleinste Nuancen.

Adam Fischer kostet in der Neuproduktion des Opernhauses Zürich die Vorteile einer «geschlossenen Aufführung» mit eher schlankem Ton und vielschichtiger Transparenz im Orchesterklang voll aus. Bei den Sängerstars war man neben der Begegnung mit Salvatore Licitra als Radamès und Luciana D'Intino in der Rolle der Amneris vor allem auf das Rollendebut von Nina Stemme als Aida gespannt.

Adels-Plüsch und Hieroglyphen

Leider gelingt es Regisseur Nicolas Joel in dieser «intimen» Neuproduktion nicht, Verdis Figuren aufleben zu lassen. Joel löst die Geschichte aus der ägyptischen Antike und setzt sie in der Entstehungszeit der Oper an: Es herrscht der deutsch-französische Krieg, es ist die Zeit von Napoleon III. Und so mischen sich vor allem in den Kostümen von Franca Squarciapino französischer Adels-Plüsch mit ägyptischer Hochkultur, es werden britische Fähnchen geschwungen und die Äthiopier sind in Lumpen gekleidete, halb nackte «Barbaren».

Die Bühne repräsentiert dazu Pariser Grossräumigkeit und Jugendstil-Sujets, und einzelne Ausgrabungs-Requisiten lassen die versunkene Hochkultur nur erahnen. Die Pyramide, in welche das Liebespaar lebendig eingeschlossen wird, das passt dann einfach nicht mehr ins 19. Jahrhundert.

Damit verliert die «Aida» nicht nur eine grundlegende Archaik, die mit den Pharaonen und der Antike überhaupt verbunden wird. Dieses Ausstattungsgemisch lenkt auch vom an sich einfachen Geschehen ab. Die einzelnen Figuren werden darin dann sehr allein gelassen: sie verlieren sich in dem grossen leeren Raum, stehen verloren herum, knien hin und wieder.

Blutleere Szenenbilder

So wird es auch schwierig, die Spannkraft in den emotional aufgeladenen Begegnungen der Figuren aufzubauen, zwischen den Kontrahentinnen Amneris und Aida, aber auch zwischen Radamès und den beiden Frauen. Die einzelnen Bilder wirken sehr statisch, altmodisch und blutleer.

Zum Beispiel die Verführungsszene, in welcher Aida Radamès zur gemeinsamen Flucht überredet und ihm schliesslich das Kriegsgeheimnis entlockt. Verdi lädt hier die Musik mit einer Erotik auf, die ihresgleichen sucht. Doch die Figuren, die beide am Boden sitzen und liegen, sie wirken eigenartig fade. Es mag an dieser konzeptlosen Personenführung liegen, dass Nina Stemme in ihrem «Aida»-Debüt trotz stimmlicher Grösse und eindrücklicher Ausdrucksdifferenzierung nicht die angemessene Ausstrahlung gewinnt. Ihre Aida ist ganz auf die Stimme konzentriert, sie weiss zwischen Lyrik und dramatischer Schärfe viele Zwischenwerte auszuloten, doch ihre Bühnenpräsenz lässt zu wünschen übrig.

Der Höhepunkt des Abends

Anders bei der Amneris der Mezzo-Sopranistin Luciana D'Intino. Sie steigert sich trotz französischer Pomp-Robe im Laufe des Abends von der schlangenhaften Eifersucht in eine grossartige Selbst-Einsicht. Ihr Duett mit Radamès, in welchem sie ihm Rettung verspricht, wenn er von Aida ablässt, das war im Hin und Her der Gefühle ein Höhepunkt dieses Abends. Luciana D'Intino singt mit Hingabe und Leidenschaft, ihre erdiges Timbre und üppiges Stimmvolumen lassen zudem Nina Stemmes Aida um so mädchenhafter erscheinen.

Salvatore Licitra ist die Rolle des Radamès wie auf den Leib geschnitten. Er weiss im Heldischen zu strahlen, sein Schwanken zwischen den beiden Frauen wird zum glaubhaften Spiessrutenlauf. Die naive Schlichtheit, mit welcher er in den Tod geht, entfaltet neben der aufgebrachten Amneris, welche die Priester eines Fehlurteils anklagt, eine unerhörte emotionale Ruhe. Diesen musikalischen Facettenreichtum weiss der Dirigent Adam Fischer mit transparentem Orchesterklang und einer grossen Aufmerksamkeit für Verdis Instrumentationskünste in den grossen Tableaus eindrücklich aufzuzeigen. Bei dieser Sensibilität fürs Detail und für die herrlichen Melodien verliert sich ab und zu jedoch der grosse dramatische Zug. Stillstand und Intimität werden dementsprechend nicht zwingend genug in die stringente Zuspitzung der Tragödie überführt.

Lauer Applaus

Der Chor jedoch, von Ernst Raffelsberger vorbereitet, vermag diesem Verdi eine glühende Klangnote zu verleihen. Ausgesprochen homogen und rhythmisch sicher vermag der Chor verdische Intensität zu verbreiten. Die Tänzerinnen und Tänzer des Junior Balletts wirken hingegen in der gar «klassischen» Choreografie von Stefano Giannetti für die «Barbaren» ziemlich aufgesetzt. So verbleiben noch die Nebenrollen. Günther Groissböck vermochte in seinem Debüt als König eine prägende Note zu setzen, während Juan Pons als Amonsaro ein gar starkes Vibrato einsetzte. Als Priester Ramfis wusste Matti Salminen bis in die tiefsten Tiefen hinab zu steigen. Das Publikum spendete diesem Premierenabend eher lauen Applaus.