Herbert Büttiker, Der Landbote (11.05.2010)
Klang war Franz Schrekers Thema überhaupt, «Der ferne Klang» der Titel seiner ersten Erfolgsoper. Im Opernhaus hat das Orchester seine Stunde, aber sehnsüchtig schillernd fasziniert dieses Stück in allen Aspekten.
Fern sind Franz Schrekers Klänge dem heutigen Publikum allein schon deshalb, weil Aufführungen selten sind. Die letzte Aufführung einer seiner Opern in Zürich («Die Gezeichneten») liegt fast zwanzig Jahre zurück. Es handelte sich damals um einen Nachzügler der Schreker-Renaissance der 70er- und 80er-Jahre, und um Wiederentdeckungen handelt es sich gleichsam immer wieder von Neuem. Denn die Renaissance führten nicht zu einer wesentlich breiteren Präsenz von Schrekers Werk im Repertoire. Umso grösser das Verdienst des Opernhauses, das diese neuerliche, und man darf sagen, in jeder Hinsicht attraktive Begegnung ermöglicht.
Dazu gehören neben dem Orchestererlebnis, für das Ingo Metzmacher mit seiner spannungsgeladenen Differenzierungskunst am Werk ist, vor allem die grossen sängerischen und darstellerischen Leistungen von Juliane Banse in der doppelten Gestalt als einfaches Mädchen und glamouröse Halbweltdame, und von Roberto Saccà als schwärmerisch junger und alternd gebrochener Künstler. Hinzu kommt eine Inszenierung (Jens-Daniel Herzog und Mathis Neidhardt), die den Interpretationskomplex der Schreker-Literatur (siehe Programmheft) mit den Verweisen auf Weininger, Freud und Nietzsche, auf Kunstreligion und Fin de siècle gekonnt unterläuft, und das Stück glaubwürdig und stimmungsstark auf den Nenner einer einfachen Geschichte (und Wahrheit) bringt.
Zwei Karrieren, ein Resultat
Harfen, Celesta, zartes Gespinst der Streicher deuten den Klang aus der Ferne an, den der Komponist sucht und der ihn das nahe Glück verpassen lässt. Fritz, der junge Künstler, verlässt die geliebte Grete, um den kleinstädtischen Verhältnissen zu entfliehen und als Künstler Karriere zu machen. Ihr Weg aus der Enge dagegen ist die Karriere einer Dirne. In einem mondänen Etablissement in Venedig begegnen sie sich Jahre später zufällig wieder, aber Fritz stösst sie von sich. Wiederum Jahre später, nach der Premiere seiner Oper «Die Harfe», deren letzter Akt misslungen ist, kommt es noch einmal zur Begegnung, der kranke, halluzinierende Musiker stirbt in Gretes Armen.
Das Künstlerdrama, für das die Frau nur Bezugspunkt ist, hat seinen Gegenpart im Drama der Frau. Für beide Aspekte erwog Schreker die Titelfrage. Letztlich ist es aber Gretes Biografie, die das szenische Karussell in fünf Bildern antreibt: Die Inszenierung verlegt die Geschichte in die Zeit nach 1945 und führt auf der Drehbühne aus den Ruinen, in denen Avantgarde-Hoffnungen gedeihen, in die Tristesse einer leeren Plattenbauwohnung ans Ende aller Illusionen. Einen Höhepunkt erreicht die Inszenierung mit diesem Bild existenzieller Leere im orchestralen Zwischenspiel, das Schreker vor die Schlussszene setzt: als Brennpunkt des ganzen Werks und seiner eigenen Klangsprache.
Klangzauber und Montage
Höchst suggestiv verbindet sich hier und nicht nur hier ein Puccini-naher Melodiestrom mit jugendstilhaft rauschenden Klanggirlanden. Wo sich diese dann in einer Frühlingsmusik zum eigenständigen Klangfarbenspiel befreien, ist Schrekers expressionistische Moderne auf der Höhe, und im Glitzern und Weben des «fernen Klangs» fallen Fiktion und kompositorische Realität des Dichter-Musikers Schreker faszinierend zusammen. Suggestiv ist er aber auch in den von Verismo-Gestik bestimmten dramatischen Szenen je am Ende des ersten und des zweiten Aktes und auf kühne Weise auch in der raffinierten Montage musikalischer Kulissen im Venedig-Akt mit Fernchören, mit Balladen, Kanzonen, Walzer und Csardas. Für Letzteres lässt das Opernhaus die Zigeunerkapelle Miklós Lakatos mit all ihrem Schmelz in der «Casa delle Maschere» auftreten.
Hervorragendes Ensemble
All das ist in seiner schillernden Dichte höchst anspruchsvoll für den ganzen Opernapparat, der hier zu bewundern ist, von der Technik, die mit der Drehbühne zaubert, bis zur wunderbar atmosphärischen Beleuchtung (die lauten Ventilatoren der Scheinwerfer vor dem Bühnenportal ausgenommen), vom Chor der Oper, der seine grosse Flexibilität in kurzen Einsätzen unter Beweis stellt, bis zum vielköpfigen Solistenensemble, das mit klar profilierten Episodenfiguren zum Zug kommt.
Dabei gibt es zum vokalen immer den starken schauspielerischen Zugriff, so bei Irène Friedli als Gretes Mutter, Stefania Kaluza als Kupplerin, Oliver Widmer als Graf, Morgan Moody als Freund des Komponisten oder Cheyne Davidson als Schmierenkomödiant in einer ausgewachsenen Theatersatire. Gefeiert wurden sie an dieser Premiere alle, zusammen mit dem Protagonistenpaar und dem Leitungsteam, für ein Schreker-Plädoyer, das allerdings vor teilweise gelichteten Parkettreihen gehalten wurde.