Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (12.05.2010)
Ein flammendes Plädoyer für Franz Schrekers Oper «Der ferne Klang» präsentiert derzeit das Zürcher Opernhaus. Ingo Metzmacher und Jens-Daniel Herzog holen alles heraus, was in Schrekers Opern-Erstling drin steckt.
Er heisst Fritz, nicht Franz, aber es ist ganz klar: Der Komponist in Franz Schrekers Oper «Der ferne Klang», der auf der lebenslangen Suche nach dem «fernen Klang», seinem Ideal einer perfekten Musik, schliesslich nicht nur reüssiert, sondern auch seine zweimal verschmähte Jugendliebe wieder in die Arme schliessen kann, ist ein Alter Ego von Franz Schreker selbst. Am vergangenen Sonntag feierte das Stück unter der musikalischen Leitung von Ingo Metzmacher und der Regie von Jens-Daniel Herzog gelungene Premiere im Zürcher Opernhaus.
Neue Wege
«Der ferne Klang» - entstanden in mehreren Anläufen zwischen 1900 und 1909, und 1912 schliesslich in Frankfurt uraufgeführt - ist Schrekers Opern-Erstling. Das ist dem Stück vor allem in den ersten beiden Akten ein wenig anzuhören, die musikalisch-klangliche Geschlossenheit von Schrekers späteren Werken, vor allem «Die Gezeichneten», ist hier nur phasenweise etabliert, am stärksten im dritten Akt, unter anderem mit einem absolut umwerfenden Orchesterzwischenspiel.
Aber Schreker hat in «Der ferne Klang» auch sehr interessante, teilweise absolut neue Wege beschritten: Seine Klangcollagen vor allem im zweiten Akt, wo fast schon in filmischen Überblendungen und parallelen Klangsphären verschiedene musikalische Ebenen verschränkt werden, führen zu hochinteressanten Resultaten. Und sie glückten in der Aufführung in Zürich trotz ihrer herausfordernden Komplexität hervorragend.
Für solche Klangschichtungen und Differenzierungen ist Metzmacher zweifellos der richtige Dirigent. Was er jedoch - nicht zum ersten Mal in Zürich - nicht so ganz im Griff hatte, war die dynamische Palette, die in diesem Haus empfindlicher sein mag als anderswo. Natürlich dürfen die Höhepunkte die akustischen Grenzen gerne kurz sprengen. Aber Metzmacher liess die Forte-Klänge oft zu früh aufglühen und forderte zu wenig dezidiert wieder Piano-Nuancen nach den Klangwogen. Das hätten auch die Sänger, vor allem Juliane Banse, die manchmal etwas früh ihre Reserven mobilisieren musste, sicher geschätzt.
Sonst ist Metzmacher kaum etwas vorzuwerfen, souverän weckte er den Farbenreichtum dieser Partitur und holte aus dem engagierten und nicht minder souveränen Orchester auf dem Fundament satter Basslinien differenzierte Klangschichtungen heraus: ein flammendes Plädoyer für Schrekers Opernerstling und für den unterschätzten Komponisten überhaupt.
Überzeugende Inszenierung
Ohne jede Abstriche überzeugen vermochte die Inszenierung: Herzog machte das Beste aus diesem Stück, das Schreker als sein eigener Librettist erfand. Die verschiedenen Zeit-, Realitäts- und Bewusstseinsebenen verschränkte der Regisseur in einer handwerklich absolut mustergültigen und meisterhaften Personenführung zu einem mehrschichtigen, dichten Theater-Erlebnis, das ausgehend von völlig naturalistischen Szenen etwa im venezianischen Bordell des Mittelakts durch den unaufgesetzten Gebrauch der Drehbühne (Mathis Neidhardt) hinführt zu völlig entleerten Seelenräumen, die doch das späte Glück des Liebespaars ermöglichen.
Spuren aus der Vergangenheit
Herzog hat die Zeitebenen weit gedehnt, so dass wir am Ende zwei Senioren in der leergeräumten Alterswohnung antreffen, was ebenso passt wie die Zeichnung der Entwicklung einer Frau vom leidenschaftlich liebenden Landei über die unnahbar schöne Kurtisane bis zur weisshaarigen Alten, die in der Oper beim «fernen» Harfenklang ihres Fritz zusammenbricht. Juliane Banse machte diese Entwicklung in bewundernswerter Weise szenisch deutlich. Schön, wie in jedem Lebensabschnitt noch die Spuren der vergangenen spürbar bleiben. Sängerisch hatte sie indes weniger Vielseitigkeit zu bieten. Zwar strahlten ihre Höhen sicher und schön, aber für Farben und Zwischentöne reichten oft die stimmlichen Möglichkeiten nicht, oder Dirigent Metzmacher forderte mit seinem Orchesterteppich zu viel an Volumen.
Weniger beeindrucken davon liess sich Roberto Saccá in der Rolle des Komponisten Fritz. Wenn es sein musste, entwickelte er wahrhaftes Heldentenor-Format und überzeugte auch mit Zwischen- und Schattentönen.