Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (12.05.2010)
Grandios: Das Opernhaus Zürich ruft Franz Schrekers «Fernen Klang» mit einer rundum beglückenden Neuproduktion ins Gedächtnis zurück.
Was wäre aus dem Komponisten und Kompositionsprofessor Franz Schreker geworden, wäre er 1934 nicht als «entarteter Künstler» und «Jude» entlassen worden? Die tonale Modernität oder weitergedrehte, expressionistisch beeinflusste Spätromantik, die er mit seiner Musik vertrat, wurde brutal abgewürgt und konnte nie mehr Fuss fassen. Schreker starb 1934 kurz nach seiner «Beurlaubung» an Schlag- und Herzanfall.
Sein «Der ferne Klang» von 1912 ist mehr als eine Künstleroper, in der ein Komponist den Klang sucht. Es geht in Schrekers eigenem Libretto um nichts weniger als die Kunst und ihr Wesen selber. Sprachlich keineswegs über alle Kitsch- und Rührstückzweifel erhaben, aber musikalisch unglaublich spannungsvoll und abwechslungsreich. Ingo Metzmacher macht mit dem wunderbar farbig und wach mitgehenden Opernhausorchester sowohl die filmmusikartige Süffigkeit wie die Ecken und Kanten hörbar: Ein Balanceakt, der technisch (die Koordination von Graben, Bühne inklusive veritablen Zigeunerorchesters, Fernchöre und Einspielungen) wie gestalterisch eindrücklich gelingt.
Der junge Komponist Fritz verlässt seine Geliebte Grete im ersten Akt, weil er diesen einen, unvergleichlichen Klang einfangen will. Sie wird darauf von ihrem Trinker-Vater zur Begleichung seiner Schulden verhökert, flieht und landet im Bordell. Dort trifft Fritz sie wieder an: Als umschwärmte Diva, die er als Hure aber verstösst. Und im letzten Akt treffen sich die beiden als Greise wieder: Fritz ist mit seiner Oper durchgefallen, weil er den Klang eben nicht festhalten konnte. Da taucht Grete wieder auf.
Eine Oper, in der Musik zur szenischen Chiffre für die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren wird: Das fordert ein enges Zusammenspiel von Szene und Musik, ein Postulat, das Regisseur Herzog und Dirigent Metzmacher hier mit handwerklicher und inhaltlicher Präzision demonstrieren.
Welchen Opernsängern nimmt man die jungen Liebenden wie die Greise ab? Roberto Saccà als Fritz und Juliane Banse erweisen sich als ideale Besetzung. Besonders im dritten Akt, wo die Oper selbstreferenziell ihr eigenes Scheitern darstellt. Den Sehnsuchtsort erreicht auch dieser intensive Opernabend nicht. Aber er zeigt gekonnt, intelligent und sinnlich, worum es bei dieser Suche geht. Und das ist schon ganz schön viel.