Effektstück mit grossartiger Musik

Hanspeter Renggli, Der Bund (10.05.2010)

La Jolie Fille de Perth, 08.05.2010, Bern

In der konzertanten Aufführung von Georges Bizets «La Jolie Fille de Perth» im Stadttheater Bern überzeugten die Interpreten und gefiel die raffiniert-klangreiche Musik.

Schlechter Text, gute Musik. Diese Formel kehrt mit schöner Regelmässigkeit wieder, wenn es gilt, so manche Oper mit kuriosen Handlungsgängen und fragwürdigen Personenkonstellationen der Musik zuliebe ins Repertoire hinüberzuretten. Für Georges Bizets vieraktige Oper «La Jolie Fille de Perth», die 1867 im Théâtre lyrique erstmals gespielt wurde, gilt das Verdikt ohne Einschränkung. Der Komponist erkannte die Fragwürdigkeiten des «Effektstücks» sehr wohl, hoffte indessen, mit seiner Musik «diese Fehler zu beheben», was ihm auch tatsächlich auf eindrückliche Weise gelang.

In grosszügig-lockerer Anlehnung an den Roman «Saint Valentine’s Day or the Fair Maid of Perth» von Walter Scott handelt die Geschichte der schönen Cathérine von einer vermeintlichen Nebenbuhlerin, der Zigeunerin Map, der vor allem der Komponisten zu Farbe verhilft. Dazu gesellen sich nicht weniger als drei Bewerber um die schöne Tochter des Handschuhmachers Glover mit unterschiedlich ehrenvollen Absichten. Üble Eifersuchtsszenen, Entführungsversuche und Verkleidungsspiele führen schliesslich zu Gottesgericht und zu unausweichlichem Wahnsinn – aber auch zu sonnigem Valentinsglück. Bizets Musik macht in ihrer Farbigkeit und ihrer fantasiereichen Melodik jedoch die dürftige Handlung vergessen.

Die Partitur ist nicht allein reich an reizenden vokalen wie instrumentalen Einlagen, an Finali, die an Verdi erinnern, und Ensembles, die den Meister der «Carmen» vorausahnen lassen. Überaus raffiniert ist Bizets Kunst dort, wo er die Sänger mit teils virtuosen Instrumentalsoli duettieren lässt. So zeigen sich etwa der Soloflötist Kurt Andreas Finger im Zigeunertanz oder Michel Biedermann in der Kavatine des Herzogs wie das Berner Symphonieorchester insgesamt von ihrer besten Seite.

Mag auch Vincent de Kork (musikalische Leitung) bei all seiner schwungvollen Gestik die eine oder andere Fermate, den einen oder andern Übergang etwas gar ungefähr behandeln, mag auch die Intonation zwischen den Bratschen und den Celli im Final des 2. Aktes leiden. Die Begegnung mit der klanglichen Vielfalt, mehr noch, mit der faszinierenden Sinnlichkeit dieser Musik bleibt ein eindringliches Erlebnis.

Faszinierende Frauenstimmen

Es ist vor allem aber das Sängerensemble, das das Stück trägt und genügend Argumente für die konzertante Präsentation dieses Werks in die Waagschale wirft. Da sind zunächst die beiden faszinierenden Frauenstimmen zu nennen.

Einerseits die bezaubernde Elena Gorshunova als Cathérine, die nicht allein mit untadeligen Koloraturen brilliert, sondern auch lyrische Linien wie dramatische Steigerungen mit vollendetem Klang zu füllen weiss. Anderseits besticht Claude Eichenberger als Zigeunerin Map ebenso durch Sprachwitz wie stimmliche Intensität. Zeigt Marc Laho als Bräutigam zu Beginn noch wenig Strahlkraft und verunglückte Höhe, entwickelt der belgische Tenor im Verlaufe seiner grossen Partie immer wärmere und eindrücklichere Bögen.

Kristian Pauls vibratostarker Bassbariton bringt sich in seiner weinseligen Arie durchaus passend ins Geschehen ein. Robin Adams singt den zwiespältigen Frauenheld (Herzog von Rothsay) mit der uns vertrauten Souveränität, Präsenz und Beweglichkeit. Carlos Esquivel schliesslich ist als Cathérines Vater Glover ein sehr sicherer Wert. Das Werk bietet aber auch dem Chor des Stadttheaters (Leitung Alexander Martin) eine dankbare Bühne, die das Ensemble mit Schwung zu nutzen weiss.

Musikalische Leckerbissen

Wer bei dieser wunderbaren Besetzung noch Zweifel am Sinn der Produktion oder am Reiz des selten gespielten Stücks hegt, sei auf das raffinierte, vielschichtige Quartett oder auf das Duett des Herzogs mit der verkleideten Map aufmerksam gemacht. In letzterem spielt sich in Form eines höfischen Menuetts eine höchst köstliche Verführungsszene ab. Es sind eben diese musikalischen Leckerbissen und das einnehmende wie brillante Ensemble, die den Abend zum Ereignis werden liessen. Das eher spärliche Publikum zeigte sich begeistert und spendete warmen Beifall.