Homogener Puccini

Charles Uzor, St. Galler Tagblatt (15.05.2010)

Madama Butterfly, 13.05.2010, St. Gallen

Dem Theater St. Gallen gelingt eine Inszenierung von Puccinis Madama Butterfly, die ohne Anbiederung modern wirkt.

Die wahre Geschichte der Madama Butterfly, der betrogenen Geisha, wurde um 1900 Mode und feierte noch vor Puccinis Adaption grosse Erfolge auf den Bühnen New Yorks und Londons. In den Themen Liebe, Betrug und Enttäuschung weiss Puccini, wovon er spricht. Als notorischer Herzensbrecher versteht er die Gefühle der Betrogenen und versetzt das Publikum in ihre Perspektive.

Sichere Töne und Gesten

Cio-Cio-San (Angela Fout) singt sich mit wunderbarem Timbre in die Herzen des Publikums. Ihr Sopran ist in allen Registern ausgeglichen, schlank und ohne Allüren. So sicher wie die Töne wirken ihre Gesten. Der holzschnitthafte Charakter wird musikalisch stark umgesetzt. Pinkerton (Derek Taylor) gewinnt vom leichtfertigen Spieler zum Scheusal an Präsenz und kommt stimmlich in den Sog Cio-Cio-Sans. Bereits ab der 2. Szene hat sein Tenor eine tragende Ausstrahlung.

Farbensymbolik

Aron Stiehls und Jürgen Kirners Inszenierung und Bühnenbild zeigen eine Farbensymbolik, in der (nach allerlei Klischees mit Bambus, Buddha und Bonsai) die Komplementärfarben Blau/Gelb, Rot/Türkis auf die Ambivalenz der Gefühle weisen. Wie das Kartenhaus Pinkertons bei der Hochzeit gleich in sich zusammenfällt, so zerrissen sind die Gefühle. Die Dramatik dieser Szene ist bestechend. Licht (Guido Petzold) und Kostüme (Dietlind Konold) spiegeln Tradition und Gegenwart der japanischen Kultur, aber auch den Gegensatz zur amerikanischen.

Cio-Cio-San, gefangen in einer rigiden japanischen Kultur der Ehre und ausgeliefert der Skrupellosigkeit des fremden Amerikaners, macht die Story modern. So gelingt der Regie ohne Anbiederung an eine Modernisierung ein packendes Sittengemälde. Im 2. Akt kippt es allerdings zu früh ins Tragische.

Fast unerträgliche Spannung

Pinkerton heiratet die «andere» und verschwindet so schnell aus Cio-Cio-Sans Leben, wie er eingetreten ist. Sie aber verharrt, zurückgelassen mit dem Kind, in der Illusion einer Rückkehr Pinkertons. Sie wartet aufs weisse Schiff und schmückt das Haus für ihn mit Blüten – eine fast unerträgliche Spannung, gerade weil man weiss, wie tragisch sie sich täuscht. Eindrücklich, wie der Konsul (David Maze, Bariton) die Botschaft überbringt, zögernd, aber mit festem Timbre, glasklarer Diktion, beseelter Empathie. Suzuki (Katja Starke), in der Rolle der Dienerin/Herzensfreundin, anfänglich noch gegen das Volumen des Orchesters ankämpfend, bietet in den wichtigen Schlussszenen unerhörte Tiefen des Mezzosoprans.

Im Verlaufe des 3. Akts wird die Spannung indes zur Qual. Ausgereizt scheint das Libretto. Alles dreht sich ums Kind, eine Rolle, die noch jeden 5-Jährigen überfordert (da hilft keine Powerstation zur Ablenkung) – ohne Dynamik und Dringlichkeit wirkt die Handlung geschwätzig.

Reduziert auf Symbole

Gekonnt aber, wie das Orchester diese Längen, das emotionale Versickern mittels einer Verdünnung des Klangs umsetzt: satte Farben in Holz, Blech und Gongs, eine wache Stille. Dann hört man nur noch den Brunnen, die Wirklichkeit ist auf Symbole reduziert: Fächer, Amerika-Fahne, Matrosenmütze, Buddhafigürchen. Cio-Cio-San packt ihre Sachen, akzeptiert ihr Schicksal, gross wie eine Antigone. Am Schrein vollzieht sie Harakiri, zu spät kommt Pinkertons Ruf, zu töricht ist seine Reue, bereits am Brett genagelt der Schmetterling.

Standing Ovations

Die Homogenität dieser Inszenierung ist bemerkenswert. David Stern leitet das Orchester kraftvoll und mit Souplesse. Der Chor (Einstudierung Michael Vogel) klingt ätherisch, zurückhaltend, gerade richtig. Die Solisten (viele von ihnen Mitglieder des St. Galler Ensembles) singen sehr schön, was das Publikum mit Standing Ovations honoriert. Das Theater St. Gallen tut gut daran, diese Leute behalten zu wollen. Käuflich ist die Liebe wie der Gesang. Mit Rendite kann jeder Star gekauft werden. Unabdingbar für ein lebendiges Ensemble sind aber Pflege der traditionellen Oper und Innovation. Nach Berlusconis «Addio», seinem dekretierten Ausverkauf des Belcanto, merkt man endlich, welches Repertoire noch zu singen wäre (und es gäbe auch gute zeitgenössische Opern…).