Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (27.05.2010)
Jan Bosse löst in Basel in Francesco Cavallis Oper «La Calisto» allerlei Grenzen auf.
Hier die Frauen, dort die Männer, es herrschen klare Verhältnisse im Theater Basel. Das weibliche Publikum sitzt im Saal, die Herren nehmen auf der Bühne Platz. Und dazwischen gibt es zwei (fast) säuberlich nach Geschlechtern getrennte Orchester.
Was sich auf dem verbleibenden Bühnenstreifen abspielt, lässt sich allerdings nicht mehr nach hier und dort sortieren. Barockopern bringen die Geschlechterverhältnisse ja immer ein wenig durcheinander, weil Kastraten die Helden gaben. Aber Francesco Cavalli und sein Librettist Giovanni Faustini gingen in der «Calisto» weit über die übliche Verwirrung hinaus. Denn die Nymphe Calisto, der Maya Boog ebenso viel Unschuld wie Leidenschaft verleiht, verliebt sich zwar in Jupiter - aber erst, nachdem er sich als Göttin Diana verkleidet hat und statt Bass Falsett singt.
Die Dienerin am Cembalo
Eine Frau liebt eine Frau, die eigentlich ein Mann ist: Davon und von vielen anderen komplizierten Lieben erzählt die Oper, die 1651 in Venedig uraufgeführt wurde - mit geringem Erfolg.
Umso erfolgreicher war jene Produktion, die 1993 der Dirigent René Jacobs und der Regisseur Herbert Wernicke herausbrachten. Die beiden fanden exakt die richtige Balance zwischen deftig und poetisch, und wenn «La Calisto» heute zu den beliebtesten Barockopern gehört, dann ist das ihnen zu verdanken.
Gleichzeitig ist diese Aufführung bis heute eine Hypothek für jede Neuinszenierung: Besser als Jacobs und Wernicke kann man es nicht machen. Aber auch gut, wie nun der Regisseur Jan Bosse und der Dirigent und Cembalist Andrea Marcon zeigen. Sie haben in Basel mit Monteverdis «Orfeo» schon vor zwei Jahren eine zauberhafte Aufführung geschaffen, die im Foyer begann, die Sänger unters Publikum mischte und damit zu einem wahrhaft barocken Gesamtkunstwerk wurde.
«La Calisto» ist nun die Fortsetzung davon. Auch hier agieren die Sängerinnen und Sänger mitten im Publikum (was akustisch zum Teil nicht unproblematisch ist). Und auch hier sind Musik und Szene eng verknüpft: etwa durch die Figur des Amor, der im Stück eigentlich nicht vorkommt, aber immer wieder beschworen wird und in Basel in der Gestalt der virtuosen Blockflötistin Anna Fusek das Geschehen steuert.
Die Grenze zwischen Bühne und Orchester ist ebenso durchlässig wie jene zwischen den Geschlechtern. So setzt sich die Dienerin Linfea zwischendrin auch mal ans Cembalo. «Voglio essere goduta», ich will genossen werden, singt sie beziehungsweise er - die Stimme von Flavio Ferri Benedetti darf man als Entdeckung feiern. Überhaupt finden viele Höhepunkte im Falsett statt: mit Xavier Sabata als Endimione ebenso wie mit Luca Tittoto, der als Jupiter vom saftigen Bass mühelos in einen tuntigen Sopran wechselt.
Das passt zur Aufführung, die auch in den prallen Farben des Barockorchesters La Cetra vor allem das Deftige des Werks betont. Götter und Halbgötter sind hier Rocker, Dragqueens, Disco-Blondinen, was für starke Pointen sorgt, sich mit der Zeit aber ebenso erschöpft wie die Idee mit dem aphrodisischen Bühnenregen. Immerhin, wenn am Schluss die zur Bärin gewordene Calisto zum Sternbild erhöht wird und sich dank Taschenlämpchen auch die Zuschauer in Sterne verwandeln: Dann kommt auch die Poesie noch richtig zum Zug.