Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (01.06.2010)
Das Märchen von der Meerjungfrau hatte in der Gestalt, die ihm Antonin Dvorák 1900 in seiner Oper «Rusalka» gab, am Sonntag im Zürcher Opernhaus Premiere. Restlos überzeugend war dabei nur die Sängerbesetzung.
Ein Hydrant ist alles, was auf der Bühne noch an Wasser erinnert. Gleichwohl hat der Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann Chiffren von heiler Natur beschworen: Ein Blumenmeer ist die Heimat von Rusalka und dem Wassermann, da passen auch die Waldelfen zwanglos hinein. Am Hof des Prinzen dann stehen ein riesiger Kronleuchter und kunstvolle Abendkleider von Victoria Behr für die Welt der Menschen. Deren Schattenseiten sehen wir schliesslich am Ende: Rusalka kann nicht mehr zurück in ihre Wasserwelt, aber sie vergiftet sie dennoch mit Menschenmüll: Der Wassermann ist einer Ölpest in die Quere gekommen, überall liegt Abfall, an dem nur die Waldelfen bei ihrem neckischen Spiel ihre unschuldige Freude haben.
Schwache Personenführung
Matthias Hartmann, vier Jahre lang Direktor des Zürcher Schauspielhauses und heute Chef des Wiener Burgtheaters, hat für seine dritte Arbeit am Zürcher Opernhaus von oben her gedacht. Für die Geschichte der kleinen Meerjungfrau, die wir von Andersen, Hauptmann oder der «Undine» von Friedrich de la Motte-Fouqué kennen, und nach denen sie Antonin Dvoráks Librettist Jaroslav Kvapil auch einrichtete, ist Hartmann von einem Mensch-Natur-Gegensatz ausgegangen und hat dieses Konzept in einer aktualisierten Version über seine Zürcher «Rusalka» gestülpt. Danach aber hat er vergessen, dass es hier auch um individuelle Schicksale, Liebe und starke Gefühle geht, die Dvorák auf der Höhe seines Könnens mit reicher Erfahrung sowohl in der Beherrschung des grossen romantischen Orchesters wie der Singstimme mit Farben, Glut und Leidenschaft aufs Reichste ausstaffierte.
Um eine ausgefeilte Personenführung, die solche Emotionen nachvollziehbar machen könnte, bemühte sich Hartmann kaum. Zu oft liess er die Darsteller allein, womit sich leere Gesten einschlichen und Ungeschicklichkeiten manche Szenen unfreiwillig komisch aussehen liessen. Stärkstes szenisches Profil gewann Liliana Nikiteanu als Hexe Jezibaba. Sängerisch konnte sie ebenfalls bestehen, wie die ganze Besetzung in dieser Beziehung keine Wünsche offen liess. Schon das Trio der drei Waldelfen (Sandra Trattnigg, Anja Schlosser und Katharina Peetz) harmonierte sängerisch bestens, Eva Liebau als Küchenjunge, der hier nicht ungeschickt zur Event-Managerin umstilisiert wurde, behauptete sich ebenso herausragend wie Michelle Breedt als fremde Fürstin und Alfred Muff als stimm- und wortgewaltiger Wassermann.
Der strahlende Prinz
Die weltweit gefeierte bulgarische Sopranistin Krassimira Stoyanowa debütierte in der Titelrolle und verlieh ihrer Rusalka vielfältige und berührende Züge. Ihre stimmlichen Möglichkeiten erlaubten ihr bis auf einige wenige metallene Farben in den Forte-Höhen ein ausgefeiltes Porträt des Wasserwesens. Sängerisches Glanzlicht des Abends aber war Piotr Beczala als Prinz. Wie er seinen wandlungsfähigen Tenor souverän durch die vielfältigen Farben und Schattierungen dieser Partie steuerte und sich auch in der Dynamik Gestaltungsspielraum erkämpfte, den er mit zarten Piani, abgedunkelten Linien oder auch Akzenten und Sprachnuancen ausfüllte, war absolute Weltklasse.
Das Gleiche kann man vom Opernorchester unter Vladimir Fedoseyev nicht behaupten. Weniger gravierend, dass die Partitur noch nicht überall perfekt sass, schlimmer, dass der Dirigent mindestens in den ersten beiden Akten nur einen sehr beschränkten Zugang zu den Farbnuancen und Instrumentierungsfinessen in Dvoráks Orchester fand, dass er viel zu schnell zu laut wurde und damit nicht nur die Sänger zu ähnlichem Forcieren zwang, sondern damit auch die differenzierte slawische Rhythmik Dvoráks in ein viel zu plumpes Licht rückte.