Liebesspiele zwischen den Zuschauerreihen

Georg Rudiger, Stuttgarter Nachrichten (25.05.2010)

La Calisto, 21.05.2010, Basel

Der Stuttgarter Regisseur Jan Bosse beeindruckt in Basel mit seiner poetischen Inszenierung von Francesco Cavallis Oper "La Calisto"


Männlein nach links, Weiblein nach rechts: Die Geschlechtertrennung beginnt am Freitag am Theater Basel schon vor der Premiere von Francesco Cavallis "La Calisto". Im Foyer werden die Herren von einem rot beflügelten, Blockflöte spielenden Wesen durch schmale Gänge auf die Bühne geleitet, die Frauen folgen einem weiß gekleideten Transvestiten (Kostüme: Kathrin Plath) auf die normalen Publikumsplätze. Der Vorhang geht auf, und der Blick fällt unwillkürlich auf die andere Seite zu den Partnern beziehungsweise Partnerinnen.

Der Coup des Stuttgarter Regisseurs Jan Bosse glückt: Es wird spontan applaudiert. Stéphane Laimés Bühnenbild in Basel ist der Theaterraum selbst. Ein Streifen in der Mitte ist die eigentliche Spielfläche der Götter, Nymphen, Satyre und Menschen, die dieses Arkadien bevölkern. Aber auch die Zuschauerplätze werden mit einbezogen, wenn die männergeile Jungfer Linfea (zum Brüllen komisch: Flavio Ferri-Benedetti) ihren potenziellen Liebhaber unter den Zuschauern sucht oder sich die Furien aus den Reihen der Besucherinnen erheben.

Cavallis 1651 in Venedig uraufgeführte Oper (Libretto: Giovanni Faustini nach Ovids "Metamorphosen") ist eine humorvolle, bitterböse und doch berührende Geschichte über die komplexen Beziehungen zwischen Mann und Frau. Es geht um verschmähte Liebe und Eifersucht, um Lüge und Verstellung, um sexuelles Verlangen und wahre Gefühle. Jupiter (mit potentem Bass und komischem Talent: Luca Tittoto) möchte die Welt retten, wird dabei aber von der schönen Gottesdienerin Kallisto (berührend: Maya Boog) abgelenkt. Erst als keusche Göttin Diana verkleidet gelingt es Jupiter mit seinem Gehilfen Merkur (stark: Nikolay Borchev), die Schöne in seine Liebeshöhle zu locken. Die echte Diana (vielschichtig: Agata Wilewska) verstößt Kallisto wegen ihrer Unzucht, wird aber selbst schwach beim betörend singenden Hirten Endymion (Xavier Sabata). Schließlich heizen noch der penetrant-schmachtende Halbgott Pan (körperlich: Michael Feyfar) und ein pubertierender Satyr (quicklebendig: Alice Borciani) den Geschlechterkampf an.

Die Polarität des Geschehens erstreckt sich bis in den Orchestergraben. Zwei Ensembles des La Cetra Barockorchesters Basel (Leitung: Andrea Marcon) sitzen sich gegenüber und begleiten abwechselnd die Frauen- und Männerwelt. Und sie vereinen sich bei den schwungvollen Tänzen zu einem mitreißenden Klangkörper. Der flötende Amor (Anna Fusek), den das Publikum im Foyer kennengelernt hat, hält das Liebesspiel in Gang. Das Wasser, mit dem Jupiter zu Beginn die verbrannte Erde begrünt und Kallisto beeindruckt, fällt immer wieder von der Decke. Es kann Leidenschaften erregen, aber auch wie eine Wand zwischen den Liebenden stehen.

Am Ende des umjubelten Abends wird die von der eifersüchtigen Juno (üppig: Geraldine Cassidy) zum Bären verwandelte Kallisto von Jupiter mit einem eigenen Sternbild beschenkt. Die Zuschauer zücken die in der Pause verteilten Lämpchen, um zum Abschluss-Chor "Le stelle più belle" einen Sternenhimmel entstehen zu lassen. So einfach kann Theater sein. Und so poetisch.