Joachim Lange, Salzburger Nachrichten (21.06.2010)
Die Züricher Opernfestspiele eröffneten am Wochenende mit einer „Salome“, die ein Licht auf die Zukunft der Salzburger Festspiele ab 2012 werfen könnte: Der künftige Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf inszenierte diese Oper von Richard Strauss beim künftigen Salzburger Intendanten Alexander Pereira (derzeit Chef der Zürcher Oper).
Dem renommierten Schauspieler Sven-Eric Bechtolf gelingen in der Regie etliche sorgfältig durchdachte Details, etwa wenn Salome mit ausgebreiteten Armen am Ende auf den Pagen Herodes’ zurennt und dieser zu den Schlägen des Orchesters immer wieder – wie in einem pervertierten, tödlichen Liebesakt – zusticht. Auch merkt man an Bechtolfs Personenregie die Erfahrung als Schauspieler ebenso an, wie am Versuch, das Geflecht jener unerfüllten Obsessionen sichtbar zu machen, die nicht nur die schillernde Titelfigur im Zentrum schier zerreißt.
Doch immer wieder verliert sich diese Inszenierung in Nahaufnahmen, sodass es schwer fällt, die Figuren im Ganzen zu erkennen. Das Bühnenbild (von Rolf Glittenberg) ist langweilig und uninspiriert. In Martin Kusejs Vorgängerinszenierung war der Welt der Boden unter den Füßen weggebrochen. Doch nun wird eine sterile, halbrunde Vorhalle bespielt, die mit ihren Sitzbänken den tristen Charme eines Wartesaals verströmt.
Gun-Brit Barkim bleibt als Salome einiges schuldig. Man erkennt an ihr mehr eine selbstbewusste Gier, als das Geheimnisvolle, sich und andere Gefährdende. Auch stimmlich fehlt es ihr an Präzision und leuchtender Emphase. Salomes Tanz misslingt trotz allen Bewegungs- und Verkleidungsaufwandes. Als gedoubelter Bauchtanz mit Hüftschwung und mit der finalen Sekunde Nacktheit vor Herodes wirkt er nur bieder und unfreiwillig komisch obendrein. Das gilt auch für den in ein blutiges Tuch gewickelten Kopf des Jochanaan, den Salome nicht überreicht bekommt, sondern beiläufig plötzlich in der Hand hält. Sie singt ihn einmal von Ferne an, als wäre er Fiktion, dann küsst sie ihn doch unter dem Tuch.Aufleuchtende Leidenschaft Alles andere ist mehr oder weniger Staffage: ob nun die schrill bunten, dandyhaften Jünglinge, die Herodes als Hofstaat umschwirren, oder die aggressiv streitenden Juden in schwarzen Kaftanen. Selbst der langhaarige Jochanaan – Egils Silins mit imponierend donnernder Stimme – im zerschlissenen Mantel fährt in einem von fünf Käfigen eher beiläufig aus der Versenkung hoch.
Den großen Wurf, der dieser „Salome“ szenisch fehlt, vermag Dirigent Christoph von Dohnanyi am Pult des Zürcher Opernorchesters musikalisch beizusteuern: stets mit ausdifferenzierter Transparenz, aufleuchtender Farbigkeit und Leidenschaft.