Salome tanzt, der Hof tanzt mit

Heinz W. Koch, Badische Zeitung (21.06.2010)

Salome, 19.06.2010, Zürich

Dohnányi und Bechtolf mit Richard Strauss’ Oper in Zürich.

Duftig fängt’s an, luftig, leicht und samten. Christoph von Dohnányi scheint zu Beginn seiner Einstudierung von Richard Strauss’ "Salome" zu den Zürcher Festspielen tatsächlich wahrzumachen, was er im Opernhaus-Magazin versprochen hat. Der berühmte Klarinettenlauf erscheint als kostbares Klangpastell. Aus der ebenfalls in Aussicht gestellten Hinwendung zum betonten Parlando, der gesungenen Konversation, wird freilich nicht so viel. Dazu gerät der orchestrale Part zu massiv, gehen die Forte-Wogen zu häufig hoch. Doch was unter diesen Vorzeichen geschieht, ist aller Ehren wert und verdient die Begeisterung, die gerade auch dem inzwischen 80-jährigen Dirigenten am Ende entgegenschlägt.

Der hat zwar nicht wie 1992 in Salzburg und später auf der mustergültig gelungenen CD die Wiener Philharmoniker vor sich. Indes, das Zürcher Opernorchester unterstreicht auch hier wieder, in welche Liga es sich mittlerweile hineingespielt hat. Vor allem das erregte Zwischenspiel nach den Flüchen des Propheten Jochanaan (sprich: Johannes der Täufer) wider die ihn beharrlich begehrende Prinzessin Salome bricht mit aller erdenklichen Wucht über uns herein: ein äußerst aktives Durchforsten der verkeilten Motivstränge. Da brodelt und zuckt es, blitzt und wuchert es. Da toben die sinfonischen Elemente, und doch behält Dohnányi den gewohnt kühlen Kopf. Das Ergebnis: maximaler Einblick in die Partitur noch im größten Getöse. Hinreißend vollends die Explosion der Strauss’schen Farben, der zielstrebige Drang in die Katastrophe, dank fließender Tempi ein immenser Zug aufs finale Debakel hin.

Sven-Eric Bechtolf inszenierte nach seinem Wiener "Ring" nun zum neunten Mal in Zürich – eine Qualitätskonstante, die das Haus stark mitprägte. Der künftige Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele hält sich vom Gros der auf Sensation schielenden "Salome"-Standards fern. Er scheint das Geschehen aus der Distanz zu betrachten, bleibt auf seinem Beobachterposten. Rolf Glittenbergs gleichsam neutrale Bühne hilft ihm dabei: ein himmelblau getäfelter Raum mit kleinen rechteckigen Lichtluken und einem weinrot-ledernen Sitzbank-Halbrund, auf das sich die Gestalten immer wieder flüchten, hin zur Wand. Diese Bühne vergräbt sich nicht ins Drama. Sie lässt es zu. Marianne Glittenbergs Kostüme betonen die Nähe zur Entstehungszeit um 1905. Bechtolfs Sängerdarsteller haben auch so gut wie nie die oft gesehenen Zappelneurotiker zu geben. Andeutung, betont unaufgeregte Minimalbewegung genügt da oft. Man könnte mitunter von Stehoper sprechen, ließe der bedeutende Schauspieler, der Bechtolf ja ist, nicht eigene Erfahrung in die spannungsvollen Dialogbeziehungen einfließen.

Gerade, dass der Hof, wenn Salomes (von Silvia Schori gedoubelter) Tanz analog zum Orchester ins Walzern verfällt, ein paar Takte lang mitwalzt. Gerade auch, dass die Herodias der voluminös auftrumpfenden Mezzosopranistin Dalia Schaechter vor den Soldaten hüftwackelnd ihre keineswegs astreine erotische Karriere ins Gedächtnis ruft. Natürlich ist der beeindruckend zwischen Helden- und Charaktertenor changierende Rudolf Schasching als Herodes auch hier ein angstschlotterndes Nervenbündel. Egils Silins dagegen ist als langhaariger Jochanaan, dessen Verwünschungen Herodes’ herbeigeeilte Festgäste neugierig lauschen, mit raumfüllend-urgesundem Stentor-Bariton ein Monument glaubensstarker, auch ideologisch schwankungs-freier Festigkeit. Und der in Salome verschossene Hauptmann Narraboth des immer heldischer timbrierten Tenors Christoph Strehl strahlt bis in seinen Freitod hinein so etwas wie hellsichtige jugendliche Würde aus.

Und Salome selber? Meilenweit von Marcus Lobbes’ Freiburger Werkverrätselung entfernt, erzählt Bechtolf schnörkellos die Geschichte eines Kindes, das trotzköpfig-stur nur das Eine im Sinn hat: die noch im Pervers-Degoutanten utopische Alles-oder-Nichts-Hinneigung zum blutigen Haupt des toten Jochanaan. Der Skandal ist ihre Normalität. Und etwas Hell-Kindliches spricht auch aus Gun-Brit Barkmins Sopran: eine "weiße" Stimme, die in den hochdramatischen Gipfeltouren immer wieder schafft, was man ihr eben noch kaum zutrauen wollte – ein Kristall-Sopran von eigenartiger Faszination dazu, der öfter etwas Klirrend-Gläsernes hat. Am Schluss, wenn sie ihren schockierenden und aller aufkommenden Christlichkeit entgegenstehenden Willen hat, lässt Bechtolf sie mit ausgebreiteten Armen ins tödliche Messer laufen. Buchstäblich.