Salome tanzt wieder – erotisch und hysterisch

Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (21.06.2010)

Salome, 19.06.2010, Zürich

Starke Bilder, sehr starke Musik und eine überwältigend starke Protagonistin: Das Zürcher Opernhaus zeigte am Samstag Richard Strauss’ «Salome» als Festspielpremiere.

Bei der letzten Zürcher «Salome» hatte der Regisseur Martin Kusej die Protagonistin während des berühmten Schleiertanzes Puppen zerstören lassen. Es ging um Missbrauch, um das unappetitliche Verhältnis des Herodes zu seiner Stieftochter. Auch anderswo werden die vielen Angebote an brisanten Themen, die Richard Strauss’ Skandalstück von 1905 bereithält, genüsslich und drastisch aktualisiert: der Zusammenprall der Religionen, die Dekadenz der Gesellschaft, die Perversion einer Prinzessin, die als Preis für ihren Tanz den Kopf eines Propheten fordert.

Sven-Eric Bechtolf verzichtet nun auf derlei Zuspitzungen und setzt ganz auf die Kraft der Bilder. Rolf Glittenberg hat ein weisses Halbrund gebaut, den Wänden entlang Sofas in dunkelroter Lederimitation, die an eine Flughafenlounge erinnern. Die Zisterne, in der Herodes Jochanaan gefangen hält, wird als gleich fünffacher Käfig aus dem Boden hochgefahren – auf dass die Begegnung zwischen dem Propheten und Salome in wirkungsvoller Choreografie stattfinden kann. Marianne Glittenbergs Kostüme lassen die sonst oft betonten Trennlinien zwischen Askese und Ausschweifung, zwischen Mann und Frau dekorativ verschwimmen. Und Salome (respektive ihr Double) tanzt wieder einmal einen richtigen Schleiertanz: orientalisch, erotisch, hysterisch, bis für einen Moment die letzten Hüllen fallen.

Zwei Küsse

Dennoch ist diese «Salome» mehr als Ausstattungstheater. Weil Bechtolf nicht aus Bequemlichkeit auf Thesen verzichtet und weil er eine Salome zur Verfügung hat, die gerade in der Offenheit der Deutung über sich selbst hinauswächst. Gun-Brit Barkmin heisst sie, geboren in Rostock, gross geworden unter anderem an der Komischen Oper Berlin unter Alexander Pereiras designiertem Nachfolger Andreas Homoki: Dass sie eine grosse Salome ist, weiss man mit dem ersten Blick, dem ersten Ton. Ein junges, irres Lächeln hat sie und eine Stimme, die so klar und silbern ist wie ihr Kleid. Selbst in den vielen leisen Tönen braucht sie kein Orchesterfortissimo zu fürchten; man hört sie, man spürt sie, und man staunt, wie leicht sie Faszination und Ekel und tödliche Betrübtheit ineinander übergehen lässt.

Naiv ist sie nicht, diese Salome, aber auch kein unerklärliches Ungeheuer. Sie ist ein Produkt ihrer Umgebung, und das wird selten so präzis und einleuchtend vorgeführt wie in dieser Aufführung. Denn schon lange vor dem Showdown wird ein toter Mund geküsst ( jener des Hauptmanns Narraboth, der in Salome verliebt war und vom Pagen geliebt wurde; der Page küsst, Salome schaut zu, die Zuschauerin fröstelt). Und wenn Salome das Haar des Jochanaan besingt, nimmt das Orchester der Oper schon mal den Tanz vorweg.

Überhaupt greift das Orchester auffallend aktiv in die Handlung ein. Christoph von Dohnányi füllt den Raum, den die Regie lässt, bis ins letzte Winkelchen mit gleissenden, schimmernden, stets erzählenden Klängen. Grotesk wirkt der Schleiertanz mit seiner Kombination von Walzerrhythmen und Kastagnetten, der Fluch des Propheten trifft Salome mit trockener, brutaler Wucht.

Ein Prophet aus dem Gruselfilm

Es kommt vor, dass das Orchester Stimmen übertönt, aber gleichzeitig schärft es das Profil der Figuren. Jochanaan etwa, den Egils Silins mit ungerührtem Bariton singt, ist nicht nur das Opfer einer Verrückten, sondern selbst eine ziemlich zweifelhafte Gestalt (mit der zotteligen Perücke und der einem Gruselfilm entliehenen Ausleuchtung des Gesichts wird es fast überbetont). Umgekehrt tut einem der lächerliche Herodes schon fast leid, wenn er zum Amüsement des ganzen Hofes sein Tanzbein hebt, wenn er libidinöse Emphase in sein nervöses Parlando zu bringen versucht, wenn er mit den Lidern klappert und die «Maulwurfsaugen» fast aus den Höhlen springen: Rudolf Schasching macht und singt das hinreissend.

Auch Herodias tanzt, da geht der Hofstaat dann allerdings lieber. Dalia Schaechter gibt sie als abgelebte, zynische Frau mit durchaus noch verführerischem Mezzosopran, der aber immer wieder stahlhart wird. Die Szenen mit ihrem Gatten Herodes hätten SchwankQualitäten, wenn sie nicht so giftig wären, und illustrieren damit überaus eindrücklich, wie Strauss’ Charakterisierung des Stücks als «Scherzo mit tödlichem Ausgang» gemeint war.

Tragik und Komik mischen sich auch bei den anderen Figuren, in unterschiedlicher Dosierung: Mehr Komik gibt es bei den fünf Juden, die herzhaft keifen dürfen. Mehr Tragik dagegen bei Narraboth, den Christoph Strehl mit lyrischem Tenor und verlorenem Blick gibt, und beim Pagen (Andrea Schwendener), dessen Rolle für einmal nicht zu Ende ist mit Narraboths Tod. Dass auch die Nebenfiguren ihre Geschichte erhalten, ist kein geringer Vorzug dieser Aufführung.

Berühmt und teuer

Mehr Strauss, Bechtolf und Glittenberg gibts an den Zürcher Festspielen im «Rosenkavalier», für den sich Renée Fleming als Marschallin die Ehre gibt. Sie singt auch die Titelrolle in jener «Traviata», die schon andere Stars (Netrebko, Villazón) nach Zürich gebracht hat, und als Vater Germont wird ihr Thomas Hampson die Leviten lesen. Während die Tonhalle auch dieses Jahr wieder auf eine inhaltliche Klammer setzt, rechtfertigt das Opernhaus die Festspielpreise mit grossen Namen. Oder, wie im Fall der «Salome», mit einem Namen, der zweifellos noch ganz gross werden wird.