Liebe und Tod bis zum Wahnsinn

Sibylle Ehrismann, Zürichsee-Zeitung (21.06.2010)

Salome, 19.06.2010, Zürich

Das Opernhaus beendet die Saison mit einer begeisternden Salome. Unter dem Dirigat von Christoph von Dohnányi zog Sopranistin Gun-Brit Barkmin als Salome bravourös alle Register.

Die «Salome» von Richard Strauss ist noch heute ein umwerfendes, packendes und atemberaubend modernes Meisterwerk und lässt szenisch wie musikalisch Welten aufeinanderprallen. Hier die musikalisch einfach formulierte Welt des Propheten Jochanaan, der im Kerker schmort, und da die raffiniert neurotische Musik der Salome. Sie ist die Prinzessin von Judäa, die Tochter der lasterhaften Herodias, deren ausschweifendes Leben Jochanaan öffentlich anprangert. Salome ist fasziniert von der seltsamen Erscheinung des Propheten und will sich ihm auf erotische Art und Weise nähern. Doch er weist sie beharrlich zurück. Das verzeiht sie ihm nicht. Und als Herodes, der Mann ihrer Mutter, Salome zum erotischen Tanz auffordert, lüstern verliebt, wie er ist, und ihr dafür jeden Wunsch erfüllen will, macht Salome mit. Sie tanzt den berühmten «Tanz der sieben Schleier» und fordert dafür den Kopf von Jochanaan auf einem Silbertablett.

An die Grenzen der Tonalität

Liebe, bis zum Wahnsinn überdrehte Erotik, Tod und Unheil werden in der Musik von Strauss hochexpressiv ausgespielt. Die geballte Ladung des gross besetzten Orchesters ist farblich reich und harmonisch bis an die Grenzen der Tonalität ausgereizt. Christoph von Dohnányi ist ein versierter Strauss-Dirigent. Er hat am Premiereabend die irisierende Spannkraft dieser Musik mit fliessenden, aber effektvoll modifizierten Tempi gehalten, wusste die Extreme auszukosten und dennoch die instrumentalen Farben sensibel zu mischen.

Das Opernorchester erwies sich dabei in Hochform. Die Holzbläser traten mit wunderbar phrasierten Melodien heraus; das Blech wirkte abgründig bedrohlich, und die polytonalen Reibungen kamen kraftvoll zum Tragen. Konzentration, rhythmische Präzision und eine Klangtransparenz, die den Stimmen die Dominanz trotz der grossen Orchesterbesetzung ermöglichte, machten diesen Premiereabend zum musikalischen Ereignis.

Christoph von Dohnányi hat mit den Sängern auch intensiv auf das für Strauss so typische «Parlando» hin gearbeitet. Dieses Schweben zwischen Sprechen und Singen ist technisch heikel, muss ganz aus dem Text heraus entwickelt werden. Entsprechend gut war die Textverständlichkeit der Sängerinnen und Sänger. Hellhörig machte da gleich zu Beginn die Tenorstimme von Christoph Strehl, der als aussichtslos in Salome verliebter Narraboth debütierte. Schlank und elegant seine Stimme, farblich interessant und im Wechsel vom Lyrischen zum Dramatischen überzeugend. Als Herodias trat Dalia Schaechter in einem eng anliegenden Meerjungfrauenkleid auf. Sie füllte die undankbare Rolle der ständig von Herodes gedemütigten «alten» Gattin mit stimmlicher Verve und agiler Bühnenpräsenz. Rudolf Schasching seinerseits mimte den lustgeilen alten Tetrarchen, der doch immer wieder von bösen Ahnungen heimgesucht wird, mit plumper Körperlichkeit und eindrücklicher stimmlicher Nuanciertheit.

Der Abend gehörte jedoch hauptsächlich Gun-Brit Barkmin. Sie ist nicht die hochdramatische Megäre, sondern verfügt über einen schlanken, agilen und doch zur Dramatik fähigen Sopran. Die Szene, in der sie Jochanaan begegnet, wurde zu einem Höhepunkt des Abends. Egils Silins Baritonstimme füllte den Raum mit würdevoller Grösse. Das Bühnenbild von Rolf Glittenberg ermöglichte ihm das Heraustreten aus dem vergitterten «Turm», ein unheimlicher Moment. Salome schwankt zwischen Faszination und Ekel, Gun-Brit Barkmin steigerte sich dabei stimmlich sukzessive in die Manie – beide sangen das grandios.

Karges Bühnenbild

Die Bühne besteht aus einem Mauern-Rund mit kleinen Fenstern, ausstaffiert mit roten Ledersesseln. Nach hinten ist die Mauer geöffnet, dort spielen sich die Szenen mit den fünf ständig streitenden Juden ab, hier treten auch die Wächter auf und ab. Sonst ist die Bühne karg, auch der «Tanz der sieben Schleier» wird nicht orientalisch überhöht. Silvia Schori tanzt ihn mit durchsichtig verschleiertem nacktem Körper.

Demgegenüber wirkt der von erotischer Manie durchtränkte Schlussgesang der Salome, die den Kopf des Jochanaan triumphierend umgurrt und ihn schliesslich küsst, um so brutaler. Gun-Brit Barkmin zieht hier alle Register und sprengt die Grenzen, ohne sich stimmlich zu verlieren. Das Premierepublikum war begeistert und spendete allen Beteiligten grossen Applaus.