Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (21.06.2010)
Die erste Oper von Richard Strauss, «Salome», wählte das Zürcher Opernhaus als Festspielproduktion. Vor allem der Dirigent Christoph von Dohnányi setzte an der Premiere am Samstag die Glanzlichter.
Wer ist sie, diese Salome, Prinzessin von Judäa, die ihrem Stiefvater derart den Kopf verdreht, dass er ihr sein halbes Königreich geben würde, wenn sie nur für ihn tanzt? Das Reich will sie zwar nicht, sondern bekanntlich den Kopf des Propheten Jochanaan, der in den Kerkern des Herodes schmort und dem Tetrarchen heilige Angst einjagt. Aber warum will sie das? Nicht wegen ihrer Mutter, das ist sicher, auch wenn Herodes diesen Verdacht hegt, weil der Prophet Herodias als Hure beschimpft.
Ein verzogener Teenager
Jeder Regisseur, der die Oper «Salome» inszeniert, muss auf irgendeine Art plausibel machen, was in dieser Frau (oder diesem Mädchen) vorgeht. Die Femme fatale, die Lust dabei empfindet, einfach alles von den Männern zu bekommen, die ihr zu Füssen liegen, das könnte Salome sein. Das ist sie aber bei Sven-Eric Bechtolf überhaupt nicht. Das verwöhnte Kind, das gewohnt ist, alles zu bekommen, schon eher. Ein verzogener Teenager, der kindlichen Trotz und aufkeimende erotische Gefühle, kombiniert mit einem kräftigen Schuss krankhafter Wahnvorstellungen, in diesen makaberen Wunsch projiziert, und schliesslich fast ungläubig vor der Macht und dem Erfolg ihres Willens zurückschreckt, scheint Bechtolf vorgeschwebt zu haben.
So richtig fassbar wird aber in Bechtolfs Inszenierung die Person Salome dennoch nicht. Wie könnte dieses Mädchen Sätze sagen wie: «Das Geheimnis der Liebe ist grösser als das Geheimnis des Todes.» Vom Kalenderblatt abgelesen? Auch abgesehen von der Hauptfigur: Zu unbestimmt blieb das ganze Konzept, zu dem auch eine Ausstattung und Umgebung gehören, die von Rolf und Marianne Glittenberg auf die kühle Ästhetik eines stilisierten Fin-de-siècle-Ambiente getrimmt wurden. Herodes' Hofstaat als dekadente Kriecher-Gesellschaft, Jochanaan als Propheten-Salzsäule, die Karikierung der Juden als streitsüchtige Chaotentruppe: Vieles zeigt Bechtolf recht konventionell und distanziert. So blieb trotz einer sehr detaillierten und genauen Personenführung bis hin zu den Statisten diese «Salome» insgesamt recht schwammig.
Musikalisch schlank und dicht
Das Gegenteil galt bei der Premiere am Samstag im Zürcher Opernhaus für die musikalische Umsetzung: So detailreich durchgestaltet und in den Finessen der Instrumentierung ausgefeilt, kammermusikalisch schlank und dicht, mit einer in jedem Moment äusserst klaren individuellen Zeichnung jeder einzelnen Orchesterfarbe, ist Salome wohl noch selten dirigiert worden. Damit einher ging eine Piano-Kultur, die man gerade Christoph von Dohnányi aus vergangenen Erfahrungen in Zürich nicht unbedingt zugetraut hätte. Dennoch schuf er auch für das Sog- und Rauschhafte dieser genialen ersten Oper von Richard Strauss einen gebührenden Platz.
Ein weiteres Plus dieser Produktion war die äusserst genaue Ausgestaltung der Sprache. Ein Vorbild darin war die Sängerin der Salome, die deutsche Sopranistin Gun-Brit Barkmin. Sie sang darüber hinaus sehr zuverlässig in der Intonation, mit klaren, souverän und klug gestalteten Linien. Nur die Farbenpalette beim Aufblühen in die Fortissimo-Linien hätte noch etwas reicher sein dürfen. Das waren auch nicht die Stärken von Egils Silins. Freilich ist die Partie des Jochanaan so eindimensional angelegt, dass das nicht weiter auffiel und der lettische Bariton letztlich überzeugte. Ein starkes Rollenporträt gelang Rudolf Schasching als Herodes, leicht blasser blieb Delia Schaechter als Herodias. Ausnehmend gut gesungen wurden die kleinen Partien, stellvertretend genannt seien das sehr präsente und präzise Judenquintett.