Herbert Büttiker, Der Landbote (21.06.2010)
Dem betörenden Grauen gibt die neue Inszenierung eine hellsichtige Regie und höchste musikalische Kompetenz mit: So schrecklich schön wie jetzt im Opernhaus ist «Salome» selten zu sehen, und Gun-Brit Barkmin als Titelheldin gibt alles.
Richard Strauss wäre auch ein exzellenter Filmmusiker für Hitchcock gewesen. Wenn Herodias dem Wunsch der Salome endlich nachgibt und den Befehl gibt, den Täufer zu enthaupten, steht die Szene still und Salome lauscht, was unten in der Zisterne geschieht. «E-Bässe herunterstimmen, sehr leise und schnell tremolieren», steht in der Partitur und hinzu kommt ein Sforzato des Solobasses: «Dieser Ton, statt auf das Griffbrett aufgedrückt zu werden, ist zwischen Daumen und Zeigfinger fest zusammenzuklemmen; mit dem Bogen ein ganz kurzer, scharfer Strich, so dass ein Ton erzeugt wird, der dem unterdrückten Stöhnen und Ächzen eines Weibes ähnelt.» – Da halten wir den Atem an, und der Schock folgt, wenn dann gegen Salomes Vermutung, der Henker habe wohl versagt, das abgeschlagene Haupt plötzlich da ist.
Was dann auf der Bühne damit geschieht, bis zum triumphalen «Ich habe ihn geküsst, deinen Mund», ergibt eine «Liebesszene», schön und schrecklich als Erfahrung einer Entgrenzung – und eine Gratwanderung: für die Sängerin am Ende einer Parforcetour, für die Regie in der Falle des vordergründigen Effekts. In der neuen Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf, Rolf und Marianne Glittenberg (Bühne) im Opernhaus bleibt der Johannes-Kopf eingehüllt in ein blutiges Tuch und überhaupt ist eine Ästhetik der genauen, konzentrierten Bewegung, der Deutung der Figuren und ihrer Beziehung in einem fast nüchternen Raum bestimmend: Das gleichsam Unanständige dieser Strauss-Oper wird nicht in optischer Opulenz umgesetzt, und den Skandal sucht auch der Schleiertanz nicht (er ist in Auftritte gegliedert, in die sich die Sängerin mit der Tänzerin und Choreografin Silvia Schori teilt). Dafür wird die Inszenierung zum Ereignis, weil sie auf das Sängerisch-Darstellerische hellsichtig fokussiert und da dem Unerhörten Raum gibt.
Diesen Raum füllt das Ensemble glänzend. Stimmliches Profil macht die kleinen Partien gross, den Narraboth mit Christoph Strehl, die Gruppen der Juden, Nazarener, Soldaten und nicht zuletzt den Pagen mit der jungen Zürcher Sängerin Andrea Schwendener. Rudolf Schasching, der auch in der letzten Inszenierung vor zehn Jahren dabei war, gibt einen fast rührend hilflosen und jovialen Herodes, und wie aus dem Familienalbum zur Entstehungszeit der Oper (angedeutet durch die Kostüme) rundet Dalia Schachters Herodias als exzentrisch-dominante Gemahlin des schwachen Herrschers das Bild der Décadence ab. Dazu kontrastiert mit Wucht Egils Silins als Jochanaan, eine düster-grosse und stimmlich markige Erscheinung.
Salome im Zentrum
Und alles dreht sich um Salome, die Gun-Brit-Barkmin mit aller darstellerischer Raffinesse und mit einer Stimme gestaltet, die schlank, aber strahlend den Orchesterklang durchdringt, die lange Phrasen weit aussingen und Höhen als Höhepunkte zelebrieren kann und auch in der tiefen Lage rhetorisch kraftvoll agiert. Diese Salome ist vom ersten Auftritt an unerhört spannend in ihrem Changieren zwischen Naivität und Hinterhältigkeit, und alles ist mit der Lolita schon da, mit mehreren Vorzeichen etwa das Kussmotiv, beissende Vamp und eben auch das Zarte und Berührende eines Liebesverlangens, das am Ende in Wahnsinn kippt. Oder in dionysischer Apotheose der Décadence entflieht (Programmhaft)? Dass Salome in den Dolch des Pagen rennt und den Tod nicht erleidet, sondern sucht, wirkt jedenfalls schlüssig.
Für Eindreiviertelstunden Hochspannung à la Hitchcock sorgen das Orchester unter der Leitung von Christoph von Dohnányi, wobei der mitreissende Zug und das Wechselspiel zwischen lauerndem Hinhalten und unvermittelten Ausbrüchen nur ein Aspekt der souveränen musikalischen Leistung an diesem Abend waren. Dazu gehörten ebenso grossartig eine eben auch kontrollierte Dynamik mit gewaltigen Spitzen, aber auch Zurücknahme im Hinblick auf eine weithin stimmige Balance und Korrespondenz mit dem Ensemble, und dazu gehörten auch die Präsenz aller instrumentalen Finessen und Klangfantasien, die Strauss dann doch nicht zum Filmmusiker machten, sondern zum genuinen Opern- und Orchesterkomponisten prädestinierten.