Prinzessin ohne Furcht

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (21.06.2010)

Salome, 19.06.2010, Zürich

Strauss«Salome» am Zürcher Opernhaus

Einaktige Opern ohne Cüpli-Pausen gehören zu den angenehmeren Erscheinungen des Opernbetriebs. Das gilt auch für die Zürcher Neuinszenierung der «Salome» von Richard Strauss.

Auf die Frage, welche Voraussetzung für eine Opernsängerin die wichtigste sei, antwortete die schwedische Operndiva Birgit Nilsson (1918–2005) einmal gewitzt: «Gute Schuhe.» Nun ist die junge deutsche Sopranistin Gun-Brit Barkmin angetreten, ihre berühmte Fachkollegin zu widerlegen. Sie singt die Titelpartie der Salome in der gleichnamigen Oper von Richard Strauss nach dem Drama von Oscar Wilde nämlich barfuss.

Und steht dieses fast zweistündige Schlüsselwerk der Opernmoderne respektgebietend durch. Es ist weniger die Durchschlagskraft ihrer niemals flatternden, wenngleich in der Höhe bisweilen leicht zu tiefen Stimme als die ausserordentlich genaue Diktion, die für ihre Darstellung der aufmüpfigen Prinzessin einnimmt. Obwohl es im Zürcher Opernhaus wie gewohnt orchestral deftig zugeht und Dirigent Christoph von Dohnányi kein Leisetreter ist, sind die Textworte der Salome über weite Strecken verständlich. Überdies teilt sie ihre Kräfte so bewusst ein, dass für den Schlussmonolog noch genug Volumen da ist. Für den Schleiertanz lässt sie sich von einem attraktiven Double vertreten, das ihr zumindest punkto Körbchengrösse überlegen ist.

Die ringförmige Spielfläche von Rolf Glittenberg erinnert an eine Kirche im Botta-Stil, könnte aber auch der Saal im Palast eines Ölmagnaten sein. Ähnlich unentschieden ist die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf. Er siedelt das Stück in einem zeitlosen Niemandsland an und gewinnt ihm keine neuen Perspektiven ab, spart dafür nicht mit kleinen Nebenhandlungen und klamaukigen Einfällen.

Quirlig. König Herodes (Rudolf Schasching mit Spielfreude und kernigem Tenor) ist ein quirliger Dicker mit tiefer gelegtem Lorbeerkranz und infantilen Allüren; man glaubt ihm kaum den Massenmörder. Gattin Herodias (Dalia Schaechter) tritt überraschend in die Fussstapfen ihrer Tochter und bezirzt die fünf ewig streitenden Juden (grob karikierend, eigentlich ein Fall für die Antirassismus-Kommission) mit einem pseudo-erotischen Tänzchen. Der Prophet Jochanaan ähnelt einem Bilderbuch-Jesus und ist in ein versenkbares Gestänge gesperrt, das dekorative Schattenmuster ohne tieferen Sinn an die Decke wirft.

Wenn der gefangene Prophet auf der Bühne steht und den Verlockungen Salomes standhält, klingt die Stimme von Egils Silins durchdringend, aus der Versenkung aber tönt sie schwach. An diesem Sänger prallt die Personenführung des sonst sehr genau gestaltenden Regisseurs ab – man sieht die üblichen Sängergesten. Zu den Pluspunkten der Aufführung gehört das energiegeladene Spiel des Orchesters, das in dieser effektvollen Partitur zur Hochform aufläuft.