Allzu wörtlich genommen

Verena Naegele, Basler Zeitung (10.05.2006)

Don Giovanni, 07.05.2006, Zürich

Mozarts «Don Giovanni» neu am Opernhaus Zürich

Sven-Eric Bechtolfs Regie ist unspektakulär, Franz Welser-Mösts Dirigat (pseudo-) originell - so präsentiert sich der Zürcher «Don Giovanni».

Golden ist der (Einheits-)Saal, in dem sich das Spiel um Eros, Ruchlosigkeit und Verderben abspielt, zugleich edles Blendwerk und Käfig, aus dem es kein Entrinnen gibt, weder für die Braven noch für die Abgezockten. Beinahe banal ist, was uns Sven-Eric Bechtolf vorsetzt, kein frugales Prassen, keinen steinernen Rachegast, kein Fegefeuer. Nichts als das ewig gleiche Spiel, Gesellschaftsbanalitäten in Smoking und Cocktailkleid.

archaisch. Bechtolf irritiert - besonders der Rückgriff auf archaische Kulturen, etwa wenn Giovanni seine Hand in den Holzbauch einer nur einen Meter hohen afrikanischen Statuette steckt, und daran innerlich verbrennt. Voodoo-Zauber lehrt die mondäne Cüpliwelt das Fürchten - eine gewagte Lesart. Die Inszenierung konzentriert sich eben ganz auf die Personenkonstellationen und die Ambivalenz der Figuren. Mit drapierten Vorhängen und Spiegelung der Szene im Hintergrund ermöglicht Rolf Glittenberg (Bühne) rasche Perspektivenwechsel vom Intimen ins Unendliche.

Hier im Raum, umgeben von Art-déco-Möbeln, die wunderbare Situationen erlauben, spielt sich das Ganze ab. Und Bechtolf führt seine Figuren bis in die Fingerspitze, haucht ihnen Persönlichkeit und Charakter ein: Don Giovanni etwa im roten Smoking, von Simon Keenlyside liebenswürdig, verächtlich und anziehend zugleich gespielt. Elvira, mit Malin Hartelius’ Sopran (zu) leicht besetzt, weder larmoyant noch rasend, sondern facettenreich leidend. Köstlich, wie sich der dandyhafte Masetto (Reinhard Mayr) fürs Publikum sichtbar hinter der Bartheke versteckt, um dem Treiben seiner Zerlina (Martina Jankova) zuzuhören; anrührend, wie Ottavio (Piotr Beczala), umgeben von «dankbaren» Frauen, Rache schwört.

extremistisch. Die Musik soll die grosse Geste übernehmen. Franz Welser-Möst am Pult des vorwiegend auf modernen Instrumenten spielenden Orchesters nimmt das wohl allzu wörtlich, jedenfalls wechselt er in die Extreme, wie ein Karussell vom Stillstand bis zum rasenden Untergang.

Leporellos Register-Arie nimmt er so langsam, dass Anton Scharinger mit mächtigem Bass aus dem Takt fällt, fast verschwindend dagegen die Streicher bei der Rache-Arie Annas, die Eva Mei trotz schönen Koloraturen ziemlich verloren lässt. Dafür schlägt Welser-Möst das Finale im «alla breve», was zur schieren Raserei führt.

Dass sich bei solch ungewohnten Tempi Unstimmigkeiten einschleichen, ist verständlich. Dazu passt, dass ein Hammerklavier und ein die Grundtöne verdoppelndes Cello das Continuo spielen, die Klänge bleiben damit hängen, die quirlige Lesart des Cembalos geht verloren. Das Kammerspiel mit brillant agierenden Protagonisten fokussiert sich auf die Bühne, lässt das Ensemble allein, fordert es aber auch zu exzellenten sänger-darstellerischen Leistungen.