Urs Mattenberger, Mittelland-Zeitung (21.06.2010)
Am Samstag hatte an den Zürcher Festspielen Richard Strauss’ Oper «Salome» Premiere. Das Werk behandelt den biblischen Stoff in der Version von Oscar Wilde.
Dass eine Frau den Mann ihrer Begierde enthaupten lässt, damit sie im grausigen Schlussbild wenigstens seinen Mund küssen kann, war ein starkes Stück. Auch im letzten «Fin de siècle», das das Bild der femme fatale kultivierte. Trotzdem, und vielleicht auch deshalb, verbreitete sich Richard Strauss’ Oper «Salome» 1905 auf den Opernbühnen wie ein Lauffeuer.
Wie kann man den Schock, den das Werk nach Oscar Wildes Fassung des biblischen Stoffes einst vermittelte, heute erlebbar machen? Zum Beispiel, indem man die Skandaldosis erhöht. Dann wird etwa Salomes Schleiertanz, mit dem sie bei Herodes die Enthauptung des Jochanaan einhandelt, zum Striptease, der die Sängerin dem Publikum splitternackt präsentiert. Wie diese Szene in der Zürcher Neuinszenierung gelöst wird, die am Samstag Premiere hatte, ist bezeichnend für die Regie von Sven-Eric Bechtolf. Sein Schleiertanz offenbart in wechselnden Kostümen verschiedene Facetten Salomes.
Da ist sie blutrot verschleierte Verführerin, aber auch Opfer eines roboterähnlich zuckenden Bewegungs-Staccatos. Doch als sie ein letztes Mal zurückkehrt, steht sie ganz entblösst da – allerdings vor den Augen des Herodes im Hintergrund und nicht des Publikums.
Die Rückenansicht der nackten Salome: Das zeigt, dass Bechtolf vordergründige Effekte sucht. Im Programmheft rückt er einen anderen Aspekt ins Zentrum, den Kulturkampf zwischen einer sinnenfrohen Antike und einer Ideologie der Askese, die das Christentum dem entgegenstellte. Auf der Bühne wird das freilich diskret angedeutet, etwa durch den Gegensatz zwischen einer grell-bunten Partygesellschaft um Herodes und der mit düsterer Horrorspannung aufgeladenen Erscheinung des eingekerkerten Jochanaan.
Die Besetzung der Hauptrollen spitzt das musikalisch zu, etwa mit dem gewaltig dröhnenden Bass von Egils Silins’ Jochanaan und dem geschmeidigen Tenor von Rudolf Schaschings Herodes.
Die grösste Qualität von Bechtolfs Figurenregie ist, dass sie überhaupt dem Hofpersonal über Klischees hinaus menschliche Züge gibt. Das gilt auch für die Frau zwischen den Fronten: Gun-Brit Barkmin gibt mit atemraubend weit gespannten stimmlichen Möglichkeiten die Salome nicht nur als männervernichtenden Vamp, sondern mischt ihr bis in den Schluss hinein Züge eines unschuldig-süssen Mädchens bei.
Zerstörerisch ist ihr Begehren nur, weil das lüsterne Partytreiben solche Liebessehnsüchte doch nicht befriedigt. So deutlich freilich wird Bechtolf auch in diesem Punkt nicht. Ganz anders Christoph von Dohnanyi und das Orchester der Zürcher Oper: Da wird nicht nur plastisch, rauschhaft und zugleich geheimnisvoll musiziert. Dohnanyi weitet Strauss’ Klangpalette aus bis hin zu einer Art Sprechgesang, welcher der Aufführung geradezu realistische Züge gibt. Die ganze «Salome»: Die bietet in dieser Produktion die Musik.