Die Massen zertreten die Liebe

Christian Fluri, Mittelland-Zeitung (16.09.2010)

Aida, 14.09.2010, Basel

Calixto Bieito inszenierte am Theater Basel eine erschütternde, aktuelle «Aida». Die Basler Aufführung von Giuseppe Verdis Oper wurde vom Premierenpublikum gefeiert.

Giuseppe Verdis «Aida» im Stadion, das kennen wir. Der katalanische Regisseur Calixto Bieito lässt seine «Aida» auch im Stadion spielen, in einem Sportstadion, das die Bühnenbildnerin Rebecca Ringst auf der Bühne des Theater Basel aufgebaut hat. Seine surreale Bildersprache spielt doppelbödig mit der Eventkultur und deckt ihre Leere auf. Bieito erzählt uns – genau auf Verdi hörend – eine aufrüttelnde, genau gelesene «Aida». Das Sportstadion wird hier zum Mikrokosmos einer rohen Welt, in der Gewaltfantasien und Fanatismus barbarisch ausgelebt werden. Von heute aus gesehen und dennoch historisch gedacht erzählt er mit Verdi, wie Nationalismus und Krieg, wie Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen jede errungene Menschlichkeit und die Liebe zerstören. Die Liebe zwischen dem Feldherrn Radamès und der Sklavin aus dem feindlichen Äthiopien hat nie eine Chance.

Auftakt ist in der Basler Aufführung die Hymne an Staat, Religion und König aus dem zweiten Akt. Chor und Solisten – auf den Zuschauerreihen des Stadions platziert – bejubeln keine Elefanten, sondern einen Hirten mit Kuh. Bieito holt «Aida» zu uns in die Gegenwart. Das Bild parodiert den Topos der heimischen Scholle, der hier gefeiert wird, und führt uns vor, wie nah wir zivilisierten Menschen dem Animalischen sind. Über den Sitzreihen, hinter Glas eingesperrt und von Bieito hintergründig in die Loge gehievt, stehen entblösste Flüchtlinge oder Kriegsgefangene, entwürdigt wie auf Bildern Goyas.

Die Akteure treten aus den Zuschauerreihen des Stadions hervor als Menschen wie wir. Radamès ist gezeichnet als der Sänger, der in die Rolle des Feldherrn schlüpft, er ist ein Träumer von Heldentum und grosser Liebe in einem Fantasie-Ägypten. An der Seite des Stadions steht eine eingeschüchterte, zugleich verspielte, selbstbewusste Aida: die fremde Gefangene, die Muslimin, heimliche Geliebte des Radamès. Aida symbolisiert das Fremde, das heute als bedrohlich wahrgenommen wird.

Bieito setzt das ambivalente Verhältnis zum Fremden einleuchtend ins Bild. Im Tanz der Sklavinnen feiert Amneris, die schicke Königstochter, mit ihren Kumpaninnen das Exotische. Das reale Fremde aber wird verhöhnt, bekriegt – mit einer Lust zur Grausamkeit, die in uns ist und in der Masse immer wieder ausbricht. Der hetzende Anführer schürt diese Lust. In «Aida» ist das Ramfis, der Oberpriester und eigentliche Herrscher. Bieito zeichnet ihn als ein sadistischer Schamane des Hooliganismus. Sein Körper ist mit den Farben der «Heimmannschaft» bemalt. Als sein Alter Ego agiert neben ihm ein katholischer Kardinal. Auch hier werden historischen Ebenen verbindend und klärend übereinandergelegt.

In abgründigen Bildern, die in der Tradition spanischer Kunst stehen, zeichnet Bieito die Gewalt, die sich entlädt, mit dem Kriegsaufruf, mit der Rückkehr der Sieger in Verdis Triumphmarsch, der die Dumpfheit des Kriegs hörbar macht. Ramfis und die Hooligans feiern einen blutigen Opferritus und sie prügeln einen Wehrlosen zu Tode. Gewaltriten sind zeitlos. Die Massen toben sich an den geschundenen Gefangenen grauenvoll aus. Dahinter weben Kinder – missbraucht zum Kriegshandwerk – Nationalflaggen.

Im Schlussbild des zweiten Akts fährt das Gatter vor dem Stadion herunter. Die Massen klettern daran hoch, schreien. Bieito spielt nicht nur auf die Gewaltexzesse an Fussballspielen an. Er erzählt mit, dass in Diktaturen Gefangene in Stadien eingepfercht werden.

So vielschichtig wie die grossen Bilder gestaltet Bieito die kammerspielartigen Szenen im dritten und vierten Akt. In einer bis in die Mimik genauen, körperbetonten Personenführung leuchtet er die Figuren aus, macht sichtbar, wie alle Hoffnungen zerbrechen: Radamès ist ein gebrochener Held, Aida eine Verzweifelte. Amneris scheitert bitter im Versuch, Radamès’ Liebe zu kaufen. Radamès und Aida werden lebendig begraben. Ihr Schlussduett ist nichts als Trauer, die Utopie stirbt mit ihnen.

Das ist enorm stark und berührend inszeniert, mit grosser emotionaler Kraft und als humanistischerAppell: ein Thea- terkunstwerk, das auch von der Energie der Solisten lebt. Angeles Blancas ist eine Aida von grosser Intensität, singt stark mit kraftvollem Sopran. Tenor Sergej Khomov gestaltet den Radamès in den lyrischen Passagen bewegend, forciert aber in den dramatischen. Grossartig singt Michelle De Young die Amneris mit farbenreichem Mezzoso-pran. Daniel Golossov ist ganz Schamane der Gewalt. Der Bass verfügt über schönes Stimmmaterial. Nur sein Vibrato ist arg.

Dirigent Maurizio Barbacini konnte nicht ganz überzeugen. In den ersten beiden Akten wirkte er nicht gerade inspiriert. Dafür sorgte der Theaterchor für packende Dramatik. Im dritten und vierten Akt steigerte sich Barbacini, da gelang es ihm, den Bläsern des Sinfonieorchesters Basel klar zeichnende Farben zu entlocken, da konnte das Orchester auch Akzente setzen.