Es wird passend gemacht

Georg Rudiger, Mannheimer Morgen (17.09.2010)

Aida, 14.09.2010, Basel

Calixto Bieito verfährt in Basel mit Verdis "Aida" nach eigenem Gutdünken

Es dauert nicht lange, da serviert Calixto Bieito im Theater Basel den ersten Schocker. Ramfis (bedrohlich: Daniel Golossov), ganzkörperbemalt als eine Art Fußballkrieger, hat ein aufgeschlitztes Reh dabei und wühlt in den blutigen Eingeweiden, während er dessen Schnauze küsst. Im Laufe dieser "Aida" ist noch ein Priester zu sehen, der ein Kind am Hundehalsband führt. Es wird gefummelt und gequält. Es ist wie immer, wenn der Katalane eine Oper inszeniert: Man blickt in Abgründe.

Da werden Menschen zu Tieren. Da müssen Figuren sterben, obwohl sie sich im Libretto bester Gesundheit erfreuen. So wird Amneris (stark: Michelle De Young) vom Schweizer Grenzwächter (Karl-Heinz Brandt als Bote) vor der Schlussszene erstochen, zu der sie dann aber am Ende der Oper, wenn Aida (tief berührend: Angeles Blancas) und Radamès (lyrisch: Sergej Khomov) gemeinsam im Grab sterben, doch noch ihre Friedenswünsche singt. Dem lyrischen Beginn der Oper schaltet Bieito den Chor "Gloria all'Egitto" aus dem zweiten Akt vor. Die Fanatisierung der Masse interessiert ihn - da darf man auch mal Hand an die Partitur legen. Was nicht passt, wird passend gemacht.

Dabei liegt Calixto Bieito mit seinem desillusionierenden Blick auf den Publikumsrenner "Aida" gar nicht so falsch. Man kann die Jubelgesänge der Ägypter durchaus als martialisches Kriegsgeschrei hören. Auch im Orchester ist in den scharf akzentuierten Akkordschlägen, die beim Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Maurizio Barbacini allerdings nicht immer zusammen sind, diese Gewalt zu spüren, die Bieito auf die Bühne bringt. Den Kampf zwischen Ägyptern und Äthiopiern transportiert der Regisseur in die Gegenwart: als Kulturkampf zwischen dem christlichen Europa und der islamischen Welt. Schauplatz dieser Begegnung ist ein Fußballstadion (Bühne: Rebecca Ringst).

Hier wiegelt der darstellerisch unbeholfene Sergej Khomov als Radamès die Menge auf, um in den Krieg zu ziehen. Hier werden beim Triumphzug die fast nackten Gefangenen aus der VIP-Lounge auf das Spielfeld geworfen . Die überragende Angeles Blancas als Aida trägt Kopftuch (Kostüme: Ingo Krügler) - die einzige Sympathiefigur in diesem Panoptikum. Leider entwickelt Bieito die spannungsreiche Anordnung nicht weiter, sondern zelebriert maßlos Obsessionen und Grausamkeiten. Für Differenzierung sind andere zuständig, etwa Dirigent Maurizio Barbacini, der sich besonders den intimen Passagen der Oper widmet. Die Liebe zwischen Radamès und Aida ist zu hören, nicht zu sehen. Immerhin etwas.