Die Liebe und der Todestrieb

Torbjörn Bergflödt, Der Landbote (09.05.2006)

Don Giovanni, 07.05.2006, Zürich

Auch unter der Art-déco Oberfläche in Sven-Eric Bechtolfs «Don Giovanni» Inszenierung am Opernhaus Zürich kann es brodeln.

«Don Giovanni», von E. T. A. Hoffmann als «Oper aller Opern» tituliert, ist ein Werk, mit dem man nie fertig wird. Allerdings besteht die Gefahr, dem Stück über den Wüstling und Mörder, der die moralischen Kategorien sprengt und schliesslich zur Hölle fährt, allzu lastende interpretatorische Überbauten aufzubuckeln. Mozart und sein Librettist Da Ponte waren nicht zum wenigsten (auch) Theaterpraktiker. Die klingende Oberfläche erzählt im Grunde schon alles. Sören Kierkegaard hat diese Oper gar für szenisch unaufführbar gehalten.

Nach dem optisch wenig berauschenden «Don Giovanni» von Jürgen Flimm und Erich Wonder vor sieben Jahren am Opernhaus Zürich präsentieren nun daselbst im Mozart-Jahr der Regisseur Sven-Eric Bechtolf und die Ausstatter Rolf Glittenberg (Bühne) und Marianne Glittenberg (Kostüme) einen neuerlichen Deutungsversuch. Und zwar mit dem Ansinnen, das Werk gerade nicht auf eine Aussage festnageln zu wollen. So ist das variierte Einheitsbühnenbild, das Stilelemente des Art déco zitiert, mehr ein abstrakt welttheatrales Gefäss für die schnell sich wandelnden Situationen als ein realistisches Setting. Viele Gassen staffeln sich perspektivisch in die Tiefe. Die Grösse der wechselnd möblierten Spielfläche ändert sich durch heruntergelassene Vorhänge. Die noblen Kostüme atmen spanische Grandezza.

Die Regie öffnet den Zweiakter auch sonst aus einer streng gebundenen Werkimmanenz. Zum eigentlichen Personal tritt eine Komparserie mit Tänzerinnen und Tänzern (Choreografie: Stefano Giannetti), die das Geschehen kommentieren und konterkarieren. Plötzlich haben da im Fond der Bühne Männlein und Weiblein Rencontres en suite, bei denen – Eros und Thanatos – Sie Ihn oder Er Sie in den schnellen Tod würgt. Ein andermal agieren Figuren der Oper zwischen einem Menschenwald, der das Geschehen gleichsam räumlich-zeitlich weitet. Und die fünf verführerischen Damen, die sich bei einer Arie um Don Ottavio gruppieren, verweisen womöglich auf einen Triebstau in dem Manne.

Es gibt das Gefahrenmoment einer ästhetisch gestylten Bühnenatmosphäre. Bechtolf und die Glittenbergs schaffen es aber, dass an diesem Abend gewisse produktiv irritierende Sinn-Resonanzräume mitschwingen und die durchaus erschreckende Dämonie des «Don Giovanni» über die Rampe kommt. Bechtolf, übrigens selbst auch Schauspieler, leistet, wie in diesem Hause schon früher zu beobachten, viel in Bezug auf die Personenführung.

Licht und Schatten

So gab Simon Keenlyside an der Premiere einen schlank-ranken Don Giovanni, der flink charmieren kann, dem zugleich aber die Diablerien bedrohlich-anarchisch herausfahren. Ein auch stimmlich sehr wendiger Singdarsteller, der das Volumen seines Baritons gut auf die Erfordernisse der Situationen justieren konnte. Der mit klangvollem Bassbariton aufwartende Anton Scharinger schlug ohne Outrierungen buffoneske Funken aus der Rolle des Dieners Leporello und grundierte diesen Part mit Zeichen des Entsetzens vor dem Tun des lasterhaften Dienstherrn. Mit tragfähigem und gut fokussiertem Sopran sang Eva Mei die vokalstilistisch vergleichsweise stark in der Welt der Opera seria verankerte Donna Anna. Piotr Beczala in der Rolle des Don Ottavio führte seinen Tenor in der Arie «Dalla sua pace» mit zu viel Druck. Malin Hartelius bewegte ihren timbreschönen Sopran technisch sehr sicher, hat aber doch etwas zu wenig vokale Durchschlagskraft für die Rolle der Donna Elvira. Martina Jankova zeichnete mit ihrem Sopran feine Leuchtspuren in den Hörraum und war auch schauspielerisch eine untadelige Zerlina. Reinhard Mayr überzeugte als (zu Recht) eifersüchtiger Masetto. Alfred Muff lieh seine sonore Stimme der Rolle des Komturs, mit welcher das Tor zu einer jenseitigen Welt aufgeschlagen wird. Den Chor hat Ernst Raffelsberger einstudiert.

Das Orchester der Oper Zürich, das diesmal für die Rezitative kein Cembalo einsetzt, sondern ein Hammerklavier, liess uns am Premierenabend in der Ouvertüre jenen metaphysischen Schauer, der schon hier intoniert wird, noch ein bisschen vermissen. Es kam dann aber zu einem Licht und Schatten schön zuteilenden Spiel, das sich tempodramaturgisch vom huschenden Presto bis hinunter zum geduldig musizierten bedächtigen Zeitmass erstreckte. Wo geboten, konnte der Dirigent dieser Produktion, Franz Welser-Möst, kraftvoll hinlangen. Nicht ganz immer optimal klappte es mit der Koordination zwischen Bühnengesang und Orchesterbegleitung.