Komm in meine Kajüte

Klaus Kalchschmid, KlassikInfo.de (20.09.2010)

Les pêcheurs de perles, 18.09.2010, Zürich

Die Oper Zürich bringt Bizets selten gespielte Oper "Die Perlenfischer" neu heraus, Jens-Daniel Herzog inszenierte

Wer hätte gedacht, dass Georges Bizets "Les pecheurs de perles" nicht nur Wunschkonzertnummern wie das sanft wiegende Freundschaftsduett und eine wunderbare Tenor-Romanze enthalten, sondern auch eine Szene voll gewaltsamer Eifersucht, die schon die Intensität des zwölf Jahre später komponierten "Carmen"-Finales vorwegnimmt.

In Zürich war das jetzt bei der Premiere der kaum gespielten Oper in der Inszenierung von Jens-Daniel Herzog zu erleben: Leila hat mit ihrem Geständnis, dass sie Nadir liebt, dessen Freund Zurga zur Weißglut getrieben. Denn einst hatten die Freunde - beide in Leila verliebt - um ihrer Freundschaft willen geschworen, die Frau zu vergessen. Zu Beginn der Oper erneuern sie ihren Schwur, doch Nadir übermannen seine Gefühle für die keusche Priesterin, die zum Schutz der Perlenfischer bei ihrer gefährlichen Taucharbeit Tag und Nacht singen und beten soll. In flagranti erwischt verlangt er beider Tod. Als er erfährt, dass Leila sich für Nadir opfern will, läuft er Amok, wütet erst gegen Leila und dann gegen sich selbst. Er zertrümmert (bei Herzog) das Mobiliar seiner Kajüte, verbrennt das Todesurteil, räumt den Safe aus, entnimmt ihm den Alu-Koffer mit den gehorten Perlen und fügt sich am ganzen Oberkörper Schnittwunden zu. Die Fischer lenkt er ab, indem er ihnen die Perlen vor die Füße wirft und ermöglicht damit die Flucht Leilas und Nadirs - in gleißende Helligkeit! Denn wie von Zauberhand öffnet sich die Rückwand seiner Kajüte. Er selbst legt sich auf den Tisch, auf dem das Paar hätte hingerichtet werden sollen.

Jens-Daniel Herzog vermeidet alle Südsee-Klischee, indem er das Stück, das auf Ceylon spielt, auf einem verrosteten Schiff (Bühne: Mathis Neidhardt) und vielfach Szenen parallel spielen lässt. Unter Deck arbeiten die Perlenfischer und nehmen die Muscheln aus, in der Mitte hat Zurga seine holzverschalte Kommandozentrale mit Bett, Waschbecken, Wandkarten und großem Schreibtisch mit Leuchttisch für die Sichtung der Perlen. Auf dem Oberdeck ist das Refugium für die Priesterin. Dieser Schnitt durch einen Schiffsbug kann nach unten fahren, die breite Kajüte Zurgas nach vorn. Auch durch Farben und Beleuchtung sind die Sphären getrennt, an den Höhe- und Wendepunkten der Handlung wechselt schlagartig das Licht - rot blinkende Warnlampen signalisieren die Entdeckung der Liebenden, ein Kurzschluss steht für Gewitter. Als sich die Ereignisse überstürzen, wird das ganze Schiff schlagartig hell erleuchtet.

Frappierend, wie Herzog die Brisanz der Handlung verschärft, Situationen szenisch beglaubigt und mit intensiver Personenregie das Beziehungsgeflecht der Figuren deutlich macht. Nicht zuletzt in der zentralen Eifersuchtsszene setzt er Leila der direkten physischen Gewalt aus, wie er umgekehrt ihr Priestertum - gekleidet ist sie dafür in einen in allen Rot, Rosa und Lila changierenden Tüll-Traum aus 1001 Nacht (Kostüme: Sibylle Gädeke) - mit ihrer Existenz als normale Frau kontrastiert. Dann legt Leila ihre exotische Berufskleidung ab, lockert die Beine, greift zur Mineralwasserflasche und legt sich im olivgrünen Schlafsack zur Ruhe.

Die Sänger sind - wie könnte es anders sein - allesamt Rollendebütanten, doch keiner bleibt seiner Partie etwas schuldig. Marlin Hartelius hat den süßen, unschuldigen und doch sinnlichen Schmelz für die Partie der Leila und ihre stimmlichen Höhenflüge; der junge mexikanische Tenor Javier Camarena besitzt genau die fein leuchtende, helle, tragfähige Tenorstimme für den Nadir, singt seine Romanze denn auch mit weich schillernden Farben. Rauer und viriler das Bariton-Timbre und Temperament von Franco Pomponi als Zurga. Alle drei steigern sich nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch. Einzig der ukrainische Bassist Pavel Daniluk bleibt - seiner Partie gemäß - als Oberpriester Nourabad etwas blass.

Während das Orchester der Zürcher Oper - wie der Chor - unter Carlo Rizzi anfangs noch etwas grob agierten, vermischten sich im Verlauf der drei Akte französische Eleganz und dramatischer Zugriff immer organischer. Am Ende konnte sich die von Brad Cohens 2002 aufgrund von Bizets Klavierauszug von 1864 und seiner Dirigierpartitur in Particell-Form rekonstruierte mutmaßliche Originalfassung in all ihrem Reichtum, ihren klanglichen Finessen und ihren überzeugenden musikdramatischen Strukturen behaupten.