Herbert Büttiker, Der Landbote (09.11.2010)
Das Märchen vom hypochondrischen Prinzen, der dank eines Lachanfalls zwar kuriert wird, aber sogleich heftig von der Liebe befallen wird, stammt von Carlo Gozzi, dem venezianischen Theaterdichter des 18. Jahrhunderts und Konkurrenten Carlo Goldonis. Wie der Prinz, so die hintergründige Botschaft des Stücks, soll das lethargische Publikum zu neuem Leben erwachen, nicht nur durch lustige Spässe, sondern den ganzen Zauber des Theaters. Das erklärt einiges auch im Libretto, das Sergej Prokofjew auf dieser Grundlage selber verfasst hat, zum Beispiel die Mitwirkung von Publikumsfraktionen, die aus den Logen heraus das Geschehen kommentieren oder beeinflussen und manchmal auf die Bühne stürmen, die einen mit der Forderung nach Belustigung, die anderen nach tragischer Rührung.
Aber die krause Geschichte erklärt sich auch ganz aus sich heraus beziehungsweise aus dem Walten einer blühenden Fantasie mit Hexe und Magier, mit bösen Köchinnen samt monströsem Kochlöffel, mit Früchten, die zum Entsetzen des durstigen Wüstenwanderers statt Orangensaft nur wunderhübsche Prinzessinnen enthalten, mit der üblen Verwandlung der Herzensdame in eine Ratte und vielem mehr. Für die Inszenierung braucht es da vor allem eines: die Lust am Theater als Theater, die Freude an den alten Maskeraden und nie verbrauchten Effekten, wofür alles vorhanden ist, die Versenkung, die Hebemechanismen, der Schnürboden, die Scheinwerfer und auch die neuen Projektoren.
Auf Teufel komm raus
Und diese Lust ist hier gross: Theater ist, haben sich Marc Adam (Inszenierung), Johannes Leiacker (Bühne) und Eva Dessecker (Kostüme) offenbar gesagt, wenn die Nebelmaschine und die Windmaschine gegeneinander antreten, und so wird gespielt auf Teufel komm raus. Sogar das Haus selber muss Federn lassen beziehungsweise ein Stück der Stuckverzierung am Bühnenportal, wo sich Truffaldino festklammert, um sich dem magischen Sog der Köchin zu entziehen.
Hauptelement auf der Bühne ist – selbst in der Wüstenlandschaft – eine grosse Drehtür: ein Generator für zahlreiche Spässe beim Auftreten und Abtreten des mal gravitätischen, mal wirbeligen Personals. Bei alledem kippt der Abend in keinem Moment vom poetischen Spiel in den blossen Klamauk. Denn es gibt nicht nur viel Betrieb auf der Bühne, sondern auch im Orchestergraben, und das Schöne an dieser Produktion ist, wie genau das Spiel oben vom musikalischen Geschehen unten bestimmt wird, vor allem aber auch, wie sehr dieses selber von farbiger und plastischer Theatralik erfüllt ist. Das Berner Symphonieorchester leistet da in grosser Besetzung ganze Arbeit, im dramatischen Detail und auch in sinfonischen Passagen, und da ist überall Gelegenheit genug – nicht nur mit dem berühmten Marsch –, Prokofjews orchestrale Brillanz grossartig zur Geltung zu bringen. Der Dirigent Roland Klutting lässt mit fesselnder Tempodramaturgie aufspielen und hält – ohne über die Zartheiten instrumentaler Poesie hinwegzugehen – auch dynamisch nicht zurück.
Für das doch eher kleine Haus mag es zum Teil grenzwertig sein, aber die grobianische Schärfe der tiefen Register gehört nun mal zum Ton dieser Musik, und das Bühnenensemble hält problemlos mit: Der Chor samt Extrachor des Stadttheaters setzt sich mit kompakter Rhetorik schlagkräftig in Szene, und auch das Solistenensemble ist stimmlich bestens gerüstet.
Jammer- und Heldentenor
Alle gehen sie ganz in der Rollengestaltung auf: Niclas Oettermann als jammernder, dann drolliger, schliesslich auch liebestrunkener Prinz ist mit grosser tenoraler Emphase ein Ereignis. Elisa Cenni als Prinzessin Ninette ist mit feinem Sopran dessen niedliche Happy-End-Partnerin. Claude Eichenberger als heimtückische Clarice und Robin Adams als intriganter Léandre machen gute Figur im bösen Spiel, und Milcho Borovinov als Tchélio und Fabienne Jost als Fata Morgana machen klar, dass böse wie gute Zauberkunst auch eine Frage des Stimmvolumens ist. Weitere wären zu nennen, nicht zuletzt Andries Cloete als darstellerisch wie musikalisch quirliger Truffaldino, Spassmacher und Antiheld. In der Summe ergibt das einen Abend, der jeden hypochondrischen Theaterbesucher in heitere Laune versetzt.