Hohlköpfe und ein Pechvogel

Oliver Meier, Berner Zeitung (09.11.2010)

Die Liebe zu den drei Orangen, 06.11.2010, Bern

Mit Mut zur (Selbst-)Ironie: Intendant Marc Adam bringt Sergei Prokofjews turbulente Märchenfarce «L’Amour des trois Oranges» auf die Bühne. Ein augenzwinkernder Abend, der vor allem szenisch überzeugt.

Viel ist er gescholten worden – für seine Führungsschwäche, für sein Auftreten, für die Produktionen seiner Musiktheater-Sparte. Nun, für seine erste und wohl auch letzte Neuinszenierung am Stadttheater Bern, hat Intendant Marc Adam eine Oper aufgestöbert, die es allen recht zu machen verspricht: «L’amour des trois Oranges» von Sergei Prokofjew (1921) nach einem Schauspiel von Carlo Gozzi (1720–1806) ist eine schillernde Opera buffa zwischen Märchen, Satire und Farce – ein ironisch gebrochener Blick auf die Bretter, die die Welt bedeuten sollen. Lauthals streiten sich da im Prolog die (Pseudo-)Zuschauer darüber, welches Theater denn nun geboten werden soll. Die einen fordern «weltbewegende Tragödien», die anderen «Komödien», die «Romantiker» ein Rührstück und die «Hohlköpfe» sinnfreie Unterhaltung – bis die «Lächerlichen» eingreifen und ein Stück ankündigen, dass alle Elemente in sich vereint: «Die Liebe zu den drei Orangen».

Marc Adam lässt es sich nicht nehmen, im Prolog selber aufzutreten – als Pechvogel vom Dienst: Als gelte es, eine wichtige Information anzukünden, tritt er vor den Vorhang – doch das Mikrofon will nicht funktionieren. Schliesslich wird Adam von den «Lächerlichen» – einer Horde Untoter mit Anzug, Krawatte und Leichenfratze – von der Bühne verbannt. Eine Botschaft des Intendanten, der 2012 «in die Wüste» geschickt wird? Oder blosse Selbstironie? Vieles ist denkbar an diesem Abend, der Humor mit Hintersinn paart und die Gewichte zwischen Satire und Märchen, zwischen Illusion und Ironie wunderbar in der Schwebe hält.

Schwermütiger Prinz

So turbulent wie der Prolog entwickelt sich die Fabel dieser Feelgood-Oper. Das Libretto siedelt sie im «Spielkartenland, zur Märchenzeit» an, die Inszenierung lässt indes keinen Zweifel daran, dass wir uns im Theater befinden: Ein roter Samtvorhang umgibt im Halbrund eine riesige Drehtür, die stets von neuem Figuren ausspuckt und wieder verschwinden lässt (Bühne: Johannes Leickacker).

Im Mittelpunkt des üppigen Personals steht der hypochondrische Prinz (Niclas Oettermann), der alle Krankheiten der Welt in sich zu vereinen scheint. Erschlagen von chronischer Schwermut liegt er im Bett, umgeben von den Ärzten, dem untröstlichen König (Armand Arapian) und dessen Vertrauten (Gerardo Garciacano), die um die Thronfolge bangen. Vergeblich bemüht sich Possenreisser Trouffaldino (Andries Cloete) an einem therapeutischen Hoffest, den Prinzen zu erheitern. Erst als die Hexe Fata Morgana (Fabienne Jost) auf dem Boden ausrutscht, bricht das heilende Lachen aus ihm hervor.

Von der Hexe dazu verflucht, drei Orangen zu lieben, tritt der Prinz seine Reise ins Schloss Kreonta an, wo er der blutrünstigen, mit einem «tödlichen Rührlöffel» bewaffneten Köchin (Carlos Esquivel) die begehrten Orangen stibitzt, die sich auf der Rückreise durch die Wüste als Prinzessinnen entpuppen. Zwei verdursten auf der Stelle, nur die prächtige Ninette (Elisa Cenni), in die sich der Prinz unverzüglich verliebt, kann gerettet werden – dank den «Lächerlichen», die als Chor von den Zuschauerrängen aus immer wieder nicht nur kommentierend, sondern auch ganz handfest ins Geschehen eingreifen.

Reiche Bühneneffekte

Die Regie zeigt viel Sinn für die Atmosphäre dieses Werks, das Prokofjew als filmisches Turbostück voll überstilisierter Figuren angelegt hat. Adam verortet es irgendwo zwischen Commedia dell’Arte, Spielkartenwelt und Weihnachtsmärchen (Kostüme: Eva Dessecker). Dabei nimmt er alles in Dienst, was die veraltete Bühnentechnik noch hergibt: Per Bühnenlift, umhüllt von Theaterrauch, fährt der gute Magier Celio (Milcho Borovinov) aus dem Boden, und auch mit Bühnenschnee und Feuerzauber spart der Regisseur nicht. Dass er auch mit sexuell recht eindeutigen Anspielungen aufwartet, ist allerdings überflüssig. Auch so dürfte jeder Hohlkopf merken, dass hier die Initiationsgeschichte eines Grünschnabel-Prinzen erzählt wird. Und für einige Szenen – etwa die Verwandlung der Orangen in Prinzessinnen – liessen sich elegantere Lösungen denken.

Sowohl gesanglich als auch darstellerisch ragt Niclas Oettermann als lethargischer Schmalspur-Hamlet aus dem insgesamt überzeugenden Ensemble heraus. Ansprechend, wenn auch nicht über alle Zweifel erhaben, präsentiert sich das Berner Symphonieorchester unter der Leitung von Roland Kluttig: So differenziert die klangsinnlichen Momente von Prokofjews schwungvoller Schauspielmusik herausgearbeitet werden – in Sachen Rhythmik und Prägnanz gibt es noch Luft nach oben.

Ob der Prinz am Ende ein guter König wird, muss stark bezweifelt werden. Für Marc Adam indes geht die Rechnung auf: Kein einziger Buhruf ist zu hören, sondern fast zehnminütiger Applaus. Offenbar kann man es doch allen recht machen.