Urs Mattenberger, Neue Luzerner Zeitung (08.11.2010)
Publikums- erfolg vorprogrammiert: Dominique Mentha ironisiert Mozarts Erfolgsoper etwas brav, aber mit viel Fantasie und einem Schuss ins Schwarze.
Es gibt kaum eine Oper, die man derart lieben muss wie Mozarts «Zauberflöte» – und die, nüchtern betrachtet, doch auch so eindeutig Unsinn enthält. Denn da ist einerseits die Verbindung von Märchenzauber und grosser Oper, anderseits wird ein patriarchales Weltbild zelebriert, in dem sich unbedarfter «Weibersinn» den Männern unterordnen muss.
Wie bringt man das glaubwürdig auf die Bühne, ohne den Charme des Werks zu zerstören? In der Premiere vom Samstag wurde aus der Zuschauerperspektive (vgl. Text unten) gleich zu Beginn klar, dass Intendant und Regisseur Dominique Mentha nicht ideologisch mit dem Stück abrechnet.
Fantasymärchen und Tattergreise
Das beginnt schon vor der Ouvertüre, in der das Luzerner Sinfonieorchester präzis, schwungvoll und doch schön ausmusiziert die musikalische Latte für diese Produktion ganz oben anlegt: Sascha Goetzel kriecht da, o Wunder, mit den drei Knaben (vorzüglich: Solisten der Knabenkantorei) unter dem Bett hervor, auf dem Tamino sich wie in Träumen räkelt.
Der Dirigent, der in den Sonnenkreis eingeführt wird? Der verspielte Auftakt ist charakteristisch für Menthas Interpretation des Stücks: Die plakative Trennung in Gut und Böse, Vernunft und Sinnlichkeit, Licht und Nacht wird gewahrt, aber ihr Pathos auf spielerische Weise ironisiert.
Ein Papageno wie im Bilderbuch
Sumi Kittelberger macht mit gestochen scharfen Koloraturen die Königin der Nacht zum furiosen Racheweib. Aber ihre Erscheinung, fantasyartig herausgeputzt und niederschwebend aus einem bestirnten Nachthimmel, verweist sie ganz ins Reich der Märchen. Auf der andern Seite sind Sarastros Tempelherren eine Sekte verblödeter Tattergreise. Auch da gibt Boris Petronje mit seinem machtvollen, nur in tiefsten Lagen ausgedünnten Bass den Sarastro als Tempelherr wie aus dem Bilderbuch. Aber seine hehren Predigten laufen buchstäblich ins Leere: Pamina zieht bei seinen Belehrungen unwillig und überdrüssig die Augenbrauen hoch und schleicht sich schliesslich mitten in einer Arie heimlich davon.
Die Zuspitzung dieser Gegenwelten rückt ganz das Liebespaar ins Zentrum, das zwischen den Sphären so sachlich wie emotional vermittelt. Das gilt für den unheldisch-ungefestigten Tamino von Utku Kuzuluk, vor allem aber für die Pamina von Simone Stock. Sie trifft hier als emanzipierte Frau, die das Geschehen in die Hand nimmt, ins Schwarze. Wie sie die Gefühlslagen ihrer Arie «Ach, ich fühl’s, es ist verschwunden» bis in hauchzarte Pianissimo-Bereiche hinein auslotet, ist eine Klasse für sich: Gegenbild sowohl zur unkontrollierten Gefühlsraserei ihrer Mutter wie zum versteinerten ethischen Pathos Sarastros.
Aufregendes Regietheater bietet die Inszenierung mit alledem zwar nicht. Auch nicht mit der Bühne von Werner Hutterli, die mit malerischen Naturstimmungen märchenhafte Stimmungen bedient. Der liebevoll-ironische Ansatz verhilft aber gerade jenen Aspekten zu ihrem Recht, die das Werk zum Publikumsliebling machen.
So ist Marc-Olivier Oetterli als Papageno ganz der Tolpatsch und Naturbursche, den man einfach lieben muss, und er findet in der Papagena von Regula Mühlemann ein ebenso bezauberndes Weibchen. Hier wie in den Auftritten des Monostatos (charakterstark: Robert Maszl) und der drei hysterischen Damen (Madelaine Wibom, Caroline Vitale, Brigitte Kuster) gelingen Mentha fantasievolle Spieleinfälle. Auch der Publikumserfolg dürfte da garantiert sein.