Thomas Schacher, Neue Zürcher Zeitung (10.11.2010)
Neuinszenierung von Mozarts «Zauberflöte» am Luzerner Theater
Gegensätze sind es, die Mozarts «Zauberflöte» kennzeichnen: Da gibt es zum einen die Welt der Königin der Nacht, zum andern jene Sarastros und seiner Eingeweihten. Die beiden Welten sind einander polar zugeordnet, als Nacht und Tag, als Horte der Leidenschaft und der Vernunft, als Reiche des Bösen und des Guten. Welch schöne Aufgabe für einen Regisseur, diese Gegensätze auf das Deutlichste herauszuarbeiten. Doch Dominique Mentha, der inszenierende Direktor des Luzerner Theaters, verschmähte diese Verlockung. Zusammen mit dem Bühnenbildner Werner Hutterli kreierte er einen stilisierten Bühnenraum, der zwischen den beiden Welten keine prinzipiellen Unterschiede macht. Gearbeitet wird mit transparenten Vorhängen, auf denen phantastische Urwaldlandschaften im Stil des Malers Henri Rousseaus zu sehen sind, dazu hört man ein buntes Vogelgezwitscher, das aus dem Regenwald des Amazonas zu kommen scheint.
Was auf den ersten Blick als Mangel wahrgenommen wird, erweist sich mit dem Fortgang der Handlung als durchdachte Anlage. Für den Prinzen Tamino bilden die beiden Welten zwei Angebote, wie er sein eigenes Leben gestalten könnte. Aber in ihrer Radikalität sind Angebote unvollkommen: hier nur Trieb, dort nur Ratio. Mentha lässt nun seinen Helden durch diesen Urwald streifen und so seinen eigenen Lebensweg finden. Die Eingeweihten sind in dieser Inszenierung keineswegs nur edel und gut. Bei ihrem ersten Auftritt wirken sie, trotz ihren weissen Gewändern, wie debile Alte; einer ist schwerhörig, einer blind, ein dritter apathisch. Am Schluss, wenn Tamino, zusammen mit seiner Geliebten Pamina, alle Prüfungen der Sarastro-Brüder bestanden hat, wird er nicht in ihren Bund aufgenommen. Durch Zuziehen des Vorhangs macht das Liebespaar die Eingeweihten unsichtbar, erst dann fällt es sich in die Arme.
Das Luzerner Theater verfügt im Opernfach über ein Ensemble, dessen Mitglieder immer wieder neu auf die zu vergebenden Rollen aufgeteilt werden müssen. Das hat, wie die Premiere der «Zauberflöte» zeigte, seine Vor- und Nachteile. Wenn man einen Marc-Olivier Oetterli im Ensemble hat, muss man nicht überlegen, wer den Papageno spielen soll. Oetterli stellt ihn mit komödiantischem Talent und wandlungsfähigem Bariton als liebenswerten Kompagnon aus Fleisch und Blut dar. Neben ihm hat der Tamino von Utku Kuzuluk einen schweren Stand. Dass man sich mit ihm weniger identifiziert, liegt nicht an seinem makellosen lyrischen Tenor, sondern an einer gewissen Reserviertheit im emotionalen Bereich.
Bei der Pamina von Simone Stock dagegen ist es genau die Fähigkeit zur Anteilnahme, was ihr Stärke verleiht, und darüber hinaus ihr leuchtender Sopran, der, wie bei der Arie «Ach, ich fühl's, es ist verschwunden», auch im Pianissimo noch wunderbar klingt. Sumi Kittelberger, bei der Premiere angeblich leicht indisponiert, erfüllt als Königin der Nacht dennoch alle Erwartungen betreffend Spitzentöne, und die Härte ihres Soprans passt durchaus zur Rolle der bösen Drahtzieherin. Die junge Schweizerin Regula Mühlemann als Papagena zeigt sich im Buffo-Duett mit Papageno von ihrer charmantesten Seite. Als Fehlbesetzung muss Boris Petronje in der Rolle Sarastros bezeichnet werden. Nicht nur hat der Bass seine liebe Mühe mit den tiefen Tönen, sondern die gewichtigen Sentenzen von Tugend und Gerechtigkeit bekommen in seinem Munde oft etwas Beiläufiges. Auch Monostatos ist mit Robert Maszl nicht ideal besetzt; er besitzt einen hellen Tenor, aber den Bösewicht nimmt man ihm nicht ab. Optisches und akustisches Vergnügen bereiten die Drei Damen Madelaine Wibom, Caroline Vitale und Brigitte Kuster, und die Drei Knaben von der Knabenkantorei Luzern berühren mit ihren ungebrochenen Stimmen. Das Luzerner Sinfonieorchester, das sich zurzeit in einem Interregnum befindet, spielt erstmals unter dem Gastdirigenten Sascha Goetzel. An der Premiere hat man den Eindruck, dass da noch nicht alle Kräfte zu einer Einheit verschmolzen sind. Die Streicher klingen bisweilen glanzlos und intonieren nicht immer lupenrein. Bei den Holzbläsern gibt es viele schöne Momente. Im Zusammenspiel der Gruppen zeigen sich rhythmische Probleme. Kurz: Es gibt während der zweieinhalb Stunden der Aufführung im Orchester zu viele Niveauunterschiede.