Herbert Büttiker, Der Landbote (13.11.2010)
Das Theater Basel feierte am Donnerstag mit dem Publikum die Ernennung zum «Opernhaus des Jahres». «My Fair Lady» sorgte für die gute Laune dazu.
In der Kritikerumfrage im Jahrbuch der Fachzeitschrift «Opernwelt» wurde das Theater Basel zum zweiten Mal in Folge zum «Opernhaus des Jahres» ernannt. Befragt wurden fünfzig Opernkritiker aus aller Welt. «Dietmar Schwarz und sein Intendant Georges Delnon sorgen für Authentizität der einzelnen Produktionen, indem sie Teams genau aufeinander abstimmen und einschwören», lautete eine Begründung, und hervorgehoben wurde «die Kontinuität, mit der an einem Ensemble gebaut werde, das barocke Raritäten ebenso bewältigt wie Puccini oder Zeitgenössisches». Die Produktion von Puccinis «Madame Butterfly» ist beispielhaft in Erinnerung, und dass es an jenem Abend nicht allein um ein ambitioniertes Regiekonzept ging, sondern auch um sängerische und darstellerische Leistungen respektive um das Ganze, um Opern eben, auch das bestätigen die Würdigungen der Fachzeitschrift: Zur Nachwuchssängerin des Jahres wurde Svetlana Ignatovich, Basler Ensemblemitglied und Protagonistin der «Madama Butterfly» gewählt.
«My Fair Lady» von B bis Z
Nicht nur weil «My Fair Lady» ja in jeder Hinsicht ein köstliches Stück ist, war die Premiere auf die Feier wie zugeschnitten. Da spielte auch ein schöner Zufall hinein. Denn als Tom Ryser sein Regiekonzept entwarf, konnte er noch nichts von diesem Anlass wissen, und doch war der Clou des Abends, dass in dieser Inszenierung das Theater selber der Schauplatz war, dass (ob tatsächliche oder fiktive) Bühnenarbeiter und die artistische Putzequipe auf offener Bühne agierten. Und passend kam hinzu, dass der Abend im Foyer begann, wo sich alles, Publikum, Theaterpersonal und Protagonisten, in einem Raum traf – zur Feier des Theaters.
Multikulti oder Sprachfolter
Statt mit der Blumenverkäuferin Eliza Doolittle vor dem Royal Opera House, deren Slang Professor Higgins ja so interessant findet, hat man es im Foyer des Theaters Basel mit einer gleichnamigen Bühnenarbeiterin zu tun, einem burschikosen Kumpel, dessen Deutsch ganz und gar nicht akzentfrei ist. Das ist auch weiter kein Problem, denn die Theaterwelt ist so multikulti wie sonst nichts. Aber auch hier kann eine Rotznase – da Tom Ryser Hausregisseur von Ursus & Nadeschkin ist, liegt ein Vergleich nahe – auf die Idee kommen, mit Styling und Sprachkursen beruflich weiterzukommen.
Wenn sich Eliza dann auf der grossen Bühne zum Sprachkurs meldet, tut sie es in einer Inszenierung von «My Fair Lady» im Probestadium. Das bedeutet, dass die Bühnenmannschaft präsent bleibt, dazwischen aus Versehen auch mal ein falsches Bühnenbild – ein Eisgebirge aus Styropor – aufbaut. Und durch den ganzen Abend tanzen akrobatisch und schräg die drei ziemlich wilden Putzengel mit ihren knallgelben Industriestaubsaugern.
Dann aber doch: Ab der zweiten Szene, in der Higgins dem neuen bekannten Oberst Hugh Pickering (Christoph Mory) seine fonografischen Dokumente vorführt, gibt es «My Fair Lady» von B bis Z. Mit aller Musik aus dem Orchestergraben des Theaters, farbig und schmissig gespielt von der basel sinfonietta unter der Leitung von David Covan, in toller Choreografie des prächtig ausstaffierten Chors des Theaters, der Statisterie und eines grossen Solistenteams, das dieses Wort-Ton-Spiel musikalisch gekonnt und sprachlich pointiert in Szene setzt.
Dirk Glodde treibt Higgins Sprachmanie bis zum Wahnsinn der Sprachfolter, zeigt im Snob alter Prägung, der die Gesellschaftsmechanismen zynisch durchschaut, auch den erfolgsversessenen Egomanen heutiger Prägung. Wenn Eliza endlich zum «ü» findet und das Es-grünt-so-grün-Terzett beginnen kann, ist das im Saal wirklich als Erlösung zu empfinden. Wie sich Eliza vom Wirbel zur adretten Dame mausert und schliesslich zu sich selber findet, selbstbewusst und energisch, ihren burschikosen Hüftkick von ihrem ersten Jackson-Auftritt her aber durchaus integriert, zeigt die wandlungsfähige Agata Wilewska auf schöne, unbemühte Art, und als ein verloren gegangener Operettentenor steht Michael Pflumm ganz in Weiss mit seinen schönen Tönen im Abseits.
Weiter mit Marthaler
Dass Prof. Zoltan Karpathy Higgins mit Christoph Marthaler verwechselt, ist kein Zufall. Ein marthalerisches Kabinettstück bietet besonders Sigrun Schneggenburger als Mrs Pearce. Noch mehr Marthaler gab es gestern Abend, eine Art Fortsetzung von «My Fair Lady», angekündigt als «Meine Faire Dame – ein Sprachlabor». «If you don’t know what to say / just smile / and slip away», ist ein Schlüsselsatz im neuen Stück.