Wenn Spaniens Blüten in Basel blühen

Elisabeth Feller, Mittelland-Zeitung (13.11.2010)

My Fair Lady, 11.11.2010, Basel

Theater Tom Ryser inszeniert in Basel den Musicalklassiker «My Fair Lady»: ein Vergnügen

Nein, bitte nicht, denkt man anfänglich, weil der «My Fair Lady»-Film mit Audrey Hepburn und Rex Harrison samt Blumenmarkt von Covent Garden im Kopf spukt. Doch diesen Markt gibt es im grossen Haus des Theaters Basel ebenso wenig wie das dreckige Blumenmädchen Eliza Doolittle. Dafür gibt es die steil in die Höhe führende, vielseitig zu bespielende Treppe im Foyer. Dort lässt Regisseur Tom Ryser den für den Handlungsfortgang so wichtigen Prolog spielen. Der Sprachwissenschaftler Henry Higgins (Dirk Glodde) trifft zwar eine Eliza an, doch diese ist eine junge, moderne Frau, die Michael Jacksons «I’m Bad» schmettert. Dieser Song ist fremd im Musicalklassiker, doch er macht Sinn. Denn am Ende erweist Higgins der entschwundenen Eliza Reverenz, indem er diesen Song singt.

Eine Welt in der Welt

Mit dem Jackson-Song verweist Ryser sowohl auf die Gegenwart wie auf eine heutige Frau, die – anders als im Original – kein Mauerblümchen ist. Da aus zeitgenössischer Optik betrachtet, klammert Ryser auch den Unterschied zwischen Oberschicht (Higgins) und Unterschicht (Doolittle) aus. Dafür gibt es bei ihm Migrantinnen und Migranten, die vielsprachig sprechen, singen und fluchen. Und das tun sie im Theater – einer Welt in der Welt. Nur logisch, dass die Polin Eliza (Agata Wilewska) deshalb nicht mit Blumenverkäufern, sondern mit Bühnenarbeitern polnisch parliert – wohlwissend, dass sie ihr Deutsch aufpolieren muss, will sie nach oben kommen. Ergo klopft sie bei Higgins an und die berühmte Geschichte nimmt ihren Lauf – als Theaterprobe. Dieser «Kunstkniff» funktioniert, weil sich daraus so manche Situationskomik ableiten lässt. Silvio Merlo und Ulf Stengl haben eine Szenerie entworfen, die wunderbar mit «leeren» Flächen spielt. Higgins Reich ist eine monumentale, aber nicht die ganze Breite einnehmende Bücherwand, an welcher der Professor schon mal hochklettert. «Er geht die Wände hoch», heisst es: Ryser nimmt solches ernst und erzielt damit eine komische Wirkung, ohne die Figur der Lächerlichkeit preiszugeben.

Dieses Ernstnehmen der Figuren und deren liebevolle Ironisierung zeichnen eine an Höhepunkten reiche Inszenierung aus. Paradebeispiel ist jene Szene, in der Higgins Eliza zum Zungenbrecher «Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühn» verdonnert. Bei Agata Wilewska und Dirk Glodde wird daraus eine fulminante Sprachsinfonie. Sie, die Sängerin, und er, der Schauspieler, sind Trümpfe einer Aufführung, die David Cown musikalisch betreut. Selten hat man die Ohrwurm-Partitur derart luzide und geschärft gehört. Kein Wunder, wurden bei der Premierenfeier sowohl «My Fair Lady» wie das «Opernhaus des Jahres» gefeiert.