Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (14.11.2010)
Am Donnerstag hatte Tom Rysers Umsetzung von Frederick Loewes Musical «My Fair Lady» in Basel Premiere. Am Freitag folgte Christoph Marthaler mit «Meine faire Dame». Ein Theaterabend der feinen Töne, weit weg vom Musical.
Den ersten Auftritt hat der Regisseur: Ein ironischer Seitenhieb auf Theaterdirektoren, die jeweils zu Beginn der Vorstellungen - meist betrübliche - Umbesetzungen ankündigen müssen. Und am Schluss wird Christoph Marthaler gefeiert für eine seiner unverwechselbaren Theater-Musik-Revuen, schillernd zwischen Klamauk und Melancholie.
«Ein Sprachlabor» heisst der Untertitel. Tatsächlich hat Anna Viebrock eines jener Siebzigerjahre-Monster auf die Bühne gestellt, das mancher noch aus der Schule kennt: schallschluckende Trennwände, Kassettenfach zum Abhören der eigenen Fehler, Kopfhörer, Konzentration. Um Sprache allerdings geht es nach einem furiosen Englischkurs mit Graham F. Valentine bald nicht mehr. Auch nicht um «My Fair Lady», obwohl Valentine zwischendurch den senilen oder besoffenen Professor Henry Higgins gibt, der sich mit Hilfe seiner ebenfalls in Ehren ergrauten Eliza (mit lakonischer Gutmütigkeit: Nikola Weisse) achtbar durchs sprachlich noch immer anforderungsreiche Leben schlägt.
Liebevolle Nummern-Revue
Aber sonst ist da fast nur Musik, Poesie, Melancholie. Sämtliche Fäden gehen verloren, in traumversunkenen Duetten finden sich Pärchen, manchmal aber singen sie auch ganz allein. «Silent Night», «Dunkelrote Rosen» oder Schumann. Aus dem Klo erklingen Dowlands zerbrechliche Tränen-Lieder, Schlager erhalten abgründige Tiefe oder sind einfach nur surreal komisch wie der unsterbliche Blödsinn von DÖF (sie wissen schon: «... ich düse, düse, düse im Sauseschritt ...»).
Marthaler arrangiert eine liebevolle Nummern-Revue, zusammengehalten nur von seinem Gespür für Stimmungen und passendes Timing, was sich etwa am meisterhaften Spiel mit Wiederholungen zeigt: Kurz bevors langweilig wird, ist Schluss, aber sicher nie vorher. So gelangen wir von Webers «Freischütz» in Freimaurer-Aufnahmerituale, entlehnt bei Mozart und Schikaneder, zappen zu Bryan Adams oder Massenets «Manon» und landen in der Grals-Geschichte à la Richard Wagner, von Karl-Heinz Brandt mit unerschütterlicher Tenor-Gewissheit vorgetragen.
Und sie singen sehr gut
Wie Brandt überzeugt das ganze Ensemble als kompaktes Theater-Team. Vor allem aber singen sie auch sehr gut: Angeleitet von Bendix Dethleffsen am Klavier bezaubern die Duette von Tora Augestad und Michael von der Heide, während Carina Braunschmidt auch umwerfend ist, wenn sie kaum einen Ton über die Lippen bringt. Etwas abseits agiert Mihai Grigoriu, der als Frankenstein auftritt und kaum mehr als ein paar Orgel-Akkorde beitragen darf.