Der eine und die anderen

Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (09.05.2006)

Don Giovanni, 07.05.2006, Zürich

Mozarts «Don Giovanni» im Zürcher Opernhaus

«Kann man das inszenieren?» So fragt zu wiederholten Malen der Regisseur Sven-Eric Bechtolf in seinem eloquenten Programmheft-Beitrag über die Figuren von «Don Giovanni». Die Antwort lautet stets negativ, mit Abstufungen zwischen «kaum» und «nein, nein, nein». Dennoch hat Bechtolf Wolfgang Amadeus Mozarts Oper inszeniert - wer könnte diesem Stück widerstehen? Und er hat es, im Verein mit dem Ausstatterpaar Rolf und Marianne Glittenberg, auf sehr spezielle Art auf die Bühne des Zürcher Opernhauses gebracht. Den einheitlichen architektonischen Rahmen bildet ein Saal im Art-déco-Stil mit goldenen, wellenförmig strukturierten Seitenwänden, die Gassen bilden wie im Barocktheater.

Szenische Ästhetik

Raffiniert, mit kühler Eleganz ist das komponiert, bis hin zu den Beleuchtungskörpern und dem schwarzen Mobiliar. Und wenn sich der Raum in der Tiefe der Rückwand spiegelt, eröffnet sich eine Perspektive ins Unendliche wie in der Geschichte des grossen Verführers. Auch Marianne Glittenbergs Kostüme - Roben in erlesenen Stoffen für die Damen, schwarze und weisse Smokings für die Herren, eine rote Samtjacke für den Titelhelden - holen die Figuren nahe an die Gegenwart heran und verankern die Handlung zugleich in einer gehobenen, freizügigen Gesellschaftsschicht, in die als Mitläufer auch Don Giovannis Diener Leporello und das bäuerliche Paar Zerlina und Masetto integriert sind.

Von Beginn an ist diese mondäne Gesellschaft, die immer wieder in moderne Tanzschritte fällt, gegenwärtig. Die eröffnende Szene zwischen Donna Anna und Don Giovanni findet während einer Party statt, die eigentlich bis zum Schluss fortdauert. Das - durchaus reziproke, mit Gewaltbereitschaft gepaarte - Verführungsspiel zwischen den Geschlechtern, von Bechtolf nach dem Prinzip der Verdoppelung und Multiplizierung in Szene gesetzt, treibt alle um - und insofern ist Don Giovanni in Bechtolfs Lesart gar nicht so anders als seine Mit- und Gegenspieler.

Einzigartig wird er vor allem durch seinen Interpreten, Simon Keenlyside. Die unnachahmliche Wendigkeit sowohl seines Körpers wie seiner Stimme - eines hellen, geschmeidigen, selbst im zartesten Piano noch kernigen Baritons - macht ihn als Figur und als Darsteller zu einer Ausnahmeerscheinung. Und der Eindruck, den er vor gut fünf Jahren in der letzten Zürcher «Don Giovanni»-Inszenierung erweckte, bestätigt sich aufs Schönste: Das ist ein Don Giovanni, der an Charisma seinen grossen Vorgängern gleichkommt, aber in seiner fast burschikosen Natürlichkeit - lässig und lauernd gespannt in einem - sehr heutig wirkt.

Heller Klang, leichte Stimmen

Mehr noch als szenisch unterscheidet sich die Neuproduktion von der vorangegangenen musikalisch. Anders als damals Nikolaus Harnoncourt setzt Franz Welser-Möst auf einen leichten, transparenten Klang, ein fast kammermusikalisches Musizieren, das sein Zentrum im Pianobereich hat. Den Rezitativen verleiht die Hammerklavier-Begleitung Nachdruck. Die Tempi sind sehr flüssig, werden allerdings in den bäuerlichen Szenen (die auf der Bühne als solche nicht wahrnehmbar sind) deutlich abgebremst, nicht immer synchron zu den Solisten. Auch im Orchester - es sitzt im hochgefahrenen Graben, fast auf Parketthöhe - mangelt es gelegentlich noch an Präzision. Im Gesamtduktus aber präsentiert sich die Aufführung wie aus einem Guss, hochästhetisch, delikat kunstvoll, doch trotz den zahlreichen Entkleidungsszenen wenig sinnlich.

Dem entspricht, dass die Partien durchweg mit leichteren Stimmen besetzt sind als bei Harnoncourt und Flimm, ausgenommen der imposante Komtur von Alfred Muff, eine Art Übervater, dem Piotr Beczalas Don Ottavio äusserlich angenähert wird. Mit dem Glanz seines Timbres und den Finessen seiner Stimmführung verkörpert Beczala als Gegenbild Don Giovannis den empfindsamen, zart fühlenden Männertypus, dem die Regie auch erotische Anziehungskraft zugesteht. Nicht sehr reich an Farbvaleurs ist daneben Eva Meis Sopran, der in den hohen Lagen der Donna- Anna-Partie zu Schärfe neigt. Ob Malin Hartelius' Stimme schon reif ist für die Rolle der Donna Elvira, blieb bei ihrem Rollendébut offen. Unter dem Premierendruck entwickelte sie ein Vibrato, das man an ihr sonst nicht kennt. Mit seinem warmen, lyrisch grundierten Bariton passt Anton Scharinger als zum Butler avancierter Leporello akkurat ins Besetzungskonzept, während Martina Jankovás charmante Zerlina und Reinhard Mayrs markanter Masetto das Brautpaar stimmlich und darstellerisch nobilitieren.

Ein paar Widerhaken hat Bechtolf in seine Inszenierung denn doch eingebaut, in Form von Verstössen gegen die Aufführungsnorm: Statt Champagner gibt es bei Don Giovannis Festgelage Campari Orange, die Statue des Komturs wird ersetzt durch ein archaisches afrikanisches Idol, herbeigetragen von jener dunkelhäutigen Frau, die den Vater Donna Annas nach seiner Ermordung betrauert. Im Inneren ist diese Holzfigur ausgestattet mit einer magischen Kraft, die nach dem obligaten Handschlag den Tod des Titelhelden auf offener Bühne herbeiführt, ohne Höllenfahrt in die Versenkung. Und schliesslich erhalten die Überlebenden zum lieto fine hübsch verpackte Geschenke als Wegbegleiter in ihr künftiges Leben - Gags, die kaum mehr als ein Achselzucken verdienen.