Herbert Büttiker, Der Landbote (07.12.2010)
«I Masnadieri» gehört zu den Verdi-Opern, die nur selten in den Spielplänen auftauchen. Die Premiere am Sonntag war für die Zürcher Oper die erste Inszenierung überhaupt.
Verdis Schaffen zwischen den bekannten Früh- und den berühmten Reifewerken tritt auch im Opernhaus Zürich immer mehr aus dem Schatten der Repertoirehits. Nach «Il Corsaro» im letzten Jahr ist jetzt die Reihe an «I Masnadieri». Entstehungsgeschichtlich sind die beiden Opern eng verknüpft, verbunden aber auch mit einer schweren gesundheitlichen Krise des Komponisten, die den Opernplan für Triest verzögerte, den ersten Auslandauftrag, eben die Oper nach Friedrich Schillers «Räubern», aber nicht tangierte. In Her Majesty’s Theatre in London fand die Uraufführung nach Plan am 22. Juli 1847 statt.
Dass Verdi nicht im Sinne hatte, der Queen einen unbeschwerten Theaterabend zu bereiten und der «Schwedischen Nachtigall» Jenny Lind eine kulinarische Plattform zu bieten, zeigt die Wahl des kruden Stoffes um Vatermord, um Figuren von kolossalem Zynismus und monströser Entgleisung, mit Szenen anarchischer Banden, für die, wie sie mit Inbrunst zum Besten geben, Raub, Vergewaltigung, Brandstiftung und Mord Zeitvertreib sind.
Der Schiller-Übersetzer Andrea Maffei war mitbeteiligt, dass die dramatische Raserei des jungen Dichters als Destillat ganz ins Libretto einging. Dramaturgisch vielleicht nicht optimal im Anlauf mit drei Soloszenen im ersten Akt und einem ähnlich strukturierten zweiten, folgen im dritten und vierten Akt dann aber szenisch-musikalische Aufbrüche, die schlicht grosses Verdi-Theater sind.
Höhenflüge und Grenzen
Das spiegelte sich auch am Premierenabend in Zürich, der im zweiten Teil um einiges packender war als im ersten. Allerdings waren es eher die Probleme der Produktion als des Stücks, die den Abend erst nach und nach in Fahrt kommen liessen. Eine fade Szenerie und eine eher träg wirkende Drehbühne (Johannes Leiacker) prägen die beiden ersten Akte. Die Inszenierung (Guy Oosten) kapriziert sich auf ein metaphorisches Hantieren mit Requisiten, das dem grossen Zug der Musik widerspricht. Das Wort Lebenslicht illustriert Francesco, indem er sich eine Zigarre anzündet. Für den Brand von Prag und den Tumult im Lager der Räuber wirkt der Bühnenraum wie ein Korsett.
Mit stärkerer Anteilnahme blickt man nach der Pause auf ein winterliches Ruinenbild, auf das chaotische Wüten der Räuber – der Opernchor agiert mit gekonnter Rohheit – und auf ein Spiel von grösserer Vehemenz überhaupt. Die musikalischen Höhenflüge und Grenzen hingegen bleiben dieselben. Thomas Hampson zeichnet Francesco mit kraftvollem Bariton als einen eher herkulisch vordergründigen als verschlagenen Bösewicht. Am stärksten imponiert er in der grossen Szene im vierten Akt, wo am Rand des Wahnsinns eines aufgeblähten und implodierenden Egos das Forcieren der Pathologie der Figur zugeschlagen werden kann und ihm Pavael Daniluk als Pastor und Repräsentant des Jüngsten Gerichts mit gleicher Münze Paroli bietet.
Die Gleichsetzung von Ausdruck und Lautstärke ist nicht nur da eine zu simple Lesart einer Verdi-Partitur, plastische Rede und rhythmische Prägnanz und Intonation jedenfalls wären mancherorts zu optimieren. Dem Orchester, das differenziert agiert, und dem Dirigenten Adam Fischer, der die Aufführung umsichtig leitet, kann man nicht vorwerfen, die Bühne in die laute Richtung zu drängen, öfters hätte man sich die pulsierende Begleitung im Gegenteil präsenter gewünscht.
Klare Phrasierung, geschmeidige Höhen zeichnen Fabio Sartoris Tenor aus. In dramatischen Momenten könnte er grössere dynamische und darstellerische Flexibilität brauchen, im elegischen Ton der Arien ist viel Intensität. Spannend auch, wie die Stimme mit der Figur wächst: Im Duett des vierten Aktes und im Finale kommt es – auch dank Carlo Colombaras prägnanter Gestaltung des Massimiliano – zum verdischen Wetterleuchten in der Begegnung von Vater und Sohn.
Je vollständiger die Zerrüttung, umso heller der ferne Glanz dessen, was sein könnte oder sein sollte: Diese Dialektik der Verdi-Oper erreicht in den Männerfiguren der «Masnadieri» ihre äusserste Spannung. In der Figur der Amalia ist sie versöhnt in der musikalischen Anmut, ja Brillanz, aber auch im wehrhaften Impetus. Dass Isabel Rey diesem Spektrum an der Premiere gewachsen war, lässt sich nicht sagen, zu sehr war ihr expressiver Gesang von der Anstrengung geprägt, die Partie achtbar zu meistern. Zum Publikumsliebling avancierte zu Recht der junge Tenor Benjamin Bernheim in der kleinen Partie des Arminio.