Stefan Degen, Neue Luzerner Zeitung (07.12.2010)
Verdis «I masnadieri» wird nur sehr selten gespielt. Das Opernhaus Zürich ging dieses Wagnis ein.
Vatermord und Brudermord sind das zentrale Thema in Giuseppe Verdis Frühwerk «I masnadieri» von 1847. Vorlage für das Melodrama ist Friedrich Schillers beliebtes Schauspiel «Die Räuber» (1782). Das Libretto lehnt sich eng an das Räuberdrama an. Im Mittelpunkt stehen die beiden Brüder Carlo und Francesco Moor: Der Erstgeborene wird zum Aussenseiter und Räuberhauptmann, der Zweitgeborene will um jeden Preis die Macht als neuer Graf. Beide wollen das Herz Amalias, der Nichte des Grafen, für sich gewinnen. Ausgerechnet sie wird am Ende der Oper das tragische Opfer.
Zwei Welten
Der flämische Regisseur Guy Joosten fand zusammen mit Ausstatter Johannes Leiacker eine stringente Lösung für die Szene: Eine Drehbühne mit einer Trennwand – mit der Räuberwelt auf der einen und der aristokratischen Welt auf der anderen Seite. Beide zerfallen mit Fortschreiten des Stückes.
Joosten hat mit den Darstellern die starken Emotionen herausgearbeitet und unverwechselbare Charaktere geschaffen – bis hin in die kleinsten Rollen. Er lässt der packenden Musik viel Raum. Und wenn die Räuber Mord und Vergewaltigung als reines Vergnügen besingen und ihr freies Leben preisen, singen sie zum Schluss nur noch «La rà, la rà ...» und führen ein munteres Tänzchen auf. Einen Tanz am Abgrund.
Eindringliches Rollendebüt
Überzeugend ist auch die musikalische Seite des Abends. Dirigent Adam Fischer animiert das Orchester der Oper Zürich zu packendem Brio, kostet aber auch lyrische Perlen der Partitur aus.
Das Werk ist in den ersten beiden Teilen recht konventionell, im dritten und vierten aber überraschend innovativ. Unzulänglich ist die Besetzung der einzigen Frauenpartie, der Amalia, mit Isabel Rey. Die Stimme der Sopranistin klingt über weite Strecken verbraucht, und das störende Vibrato beeinträchtigt die Gesangslinie zusätzlich.
Mit besonderem Interesse erwartet wurde das Rollendebüt von Thomas Hampson als Francesco. Der amerikanische Bariton gibt den Grafensohn als narzisstischen Egomanen, stimmlich in Höchstform mit äusserst differenzierter Gesangskunst. Fabio Sartori verkörpert dessen Bruder Carlo, der zum Räuber wird. Sartori besticht mit seinem Tenor, der voller Schmelz ist und über die Kraft für dramatische Attacken verfügt, ohne je zu forcieren. Carlo Colombara als Massimiliano leiht seinen edlen Bass der gebeutelten Vaterfigur. Als Diener Arminio lässt Benjamin Bernheim aufhorchen.