Sinnenfest und Voodoozauber

Bruno Rauch, Schaffhauser Nachrichten (09.05.2006)

Don Giovanni, 07.05.2006, Zürich

Die Rache des ermordeten Komturs als Voodoomagie zu inszenieren ist originell, aber kaum plausibel. Musikalisch jedoch überzeugt der «Don Giovanni» des Opernhauses Zürich.

Weder sevillanische Gassen noch ländliche Gegend: Für das amouröse Treiben und Scheitern Don Juans hat Bühnenbildner Rolf Glittenberg eine goldschimmernde Art-Déco-Szenerie aus gestaffelten Rahmen gebaut, die sich wie ein barocker Bühnenprospekt nach hinten perspektivisch verjüngt. Schwarze Sessel und eine gestylte Bar möblieren die Bühne. Auf der Rückwand setzen sich Bild und Aktion durch spiegelbildliche Kameraprojektionen ins Unendliche fort.

Charleston statt Menuett

Die Kostüme von Marianne Glittenberg - kostbare Korsagen für die Frauen und Smokings für die Herren - verweisen mehr auf die 1950er-Jahre denn auf die Twenties, obwohl auf dem Ballfinale des ersten Aktes Charlestonschritte angedeutet werden statt eines Menuetts. Das Spiel um Eros und Thanatos kennt weder zeitliche noch örtliche noch stilistische Schranken. Dennoch bleibt vieles einer etwas oberflächlichen Ästhetik verhaftet. Ausgehend vom Konzept, dass im Voodookult Diesseits und Jenseits nicht getrennt sind und jederzeit Kontakt mit den Geistern der andern Welt möglich ist, lässt Regisseur Sven-Eric Bechtolf das Standbild des ermordeten Komturs als afrikanische Holzfigur herbeitragen. Das scheint, selbst angesichts von Don Juans archetypischer Universalität, etwas weit hergeholt.

Hinreissender Don Simon

Überzeugend sind Personenregie und vokale Leistung. Tänzerisch bewegen sich alle - Verführte, Diener, Nebenbuhler, Ballgäste - auf der Bühne, gleichsam im erotischen Taumel gefangen, vom Fluidum des treibenden Pols kontaminiert. Und Simon Keenlyside lässt sie schonungslos tanzen. Mit seinem sinnlich timbrierten, geschmeidigen Bariton ist er die ideale Verkörperung des Titelhelden. Sein aalglatter Charme und seine körperliche Agilität treffen das Wesen des Don Juan perfekt: ein schillernder Erotomane. Anton Scharringer als sein Alter Ego Leporello versprüht buffonesken Witz und servilen Eifer. Mit ihrem unangestrengten Sopran ist Eva Mei eine etwas kühle Donna Anna, oszillierend zwischen Abneigung und Faszination. Piotr Beczalas ergrauter Grandseigneur Ottavio verströmt tenoralen Schmelz, gepaart mit viriler Strahlkraft. Malin Hartelius überrascht in der Rolle der Elvira. Sie überzeugt weniger als Rächerin denn als zutiefst verletzte Liebende. Spielwitz und vokale Leichtigkeit prägen Martina Jankovas kokette Zerlina. Ihr zur Seite steht Reinhard Mayr, während sich Alfred Muff als sonorer Komtur profiliert. Gestützt wird das vortreffliche Ensemble vom motivierten Orchester unter Franz Welser-Möst, der auf gemässigte Tempi setzt und plastisch, nuancenreich modelliert. Trotz szenischer Fragezeichen ein bewegender Abend.