Anna Kardos, Tages-Anzeiger (07.12.2010)
Das Zürcher Opernhaus führt Giuseppe Verdis Frühwerk «I masnadieri» erstmals auf. Ein nicht rundum gelungenes Stück.
Dass selbst Meister der Oper wie Verdi nicht vom Himmel fallen, zeigt sich, wenn der Pulsschlag ihrer Dramaturgie einen Augenblick aussetzt, um dann plötzlich in gänzlich anderem Tempo weiterzupochen: Gerade erst haben Amalia und der tot geglaubte Bräutigam Carlo einander wiedergefunden, eben noch haben sie sich Liebe geschworen; sie wollte ihm beistehen in Freud und Leid, da zückt er, sich erinnernd, dass er ein Räuberhauptmann ist, seinen Dolch und stösst ihn Amalia ins Herz.
Ein dramaturgischer Knick, der einen nach der ersten Überraschung ratlos zurücklässt. Und einer, wie er in Giuseppe Verdis «I masnadieri» des Öfteren zu finden ist. Das Frühwerk hat es nie in die Liga der «Best of Verdi» geschafft. Am Zürcher Opernhaus wird es jetzt zum ersten Mal gespielt, in einer Produktion mit Höhen, gewissen Längen und Überraschungen verschiedener Art.
Liebäugeln mit Klischees
Eines ist jedoch schon bei der Ouvertüre klar: Es ist veritabler Verdi! Dirigent Adam Fischer und das Orchester der Oper lassen darüber bei der Premiere am Sonntagabend keinen Zweifel aufkommen, so sprühend spielen sie die Motive aus; so theatralisch, farbig, gestisch. Wunderbar kompakt agieren die Musiker. Warm und secco ist ihr Klang, ganz ohne das so weit verbreitete «Operngeschrummel», sogar wenn das Werk mit seinen wiederkehrenden «m-ta-ta»-Begleitungen mit der Tradition des sonoren Klischee-Belcanto liebäugelt.
Nein, als Verdi sein Kammerspiel (wobei «Zellenspiel» wohl der treffendere Ausdruck wäre, denn zwischen den Figuren entwickelt sich kaum Dynamik) nach Stationen von Schillers «Räubern» entwarf, bewegte er sich nicht ganz auf der Höhe seiner Kompositionskunst. Das wird vor allem im ersten Akt deutlich: Carlo ist durch die Intrige seines machtgierigen Bruders vom Hof vertrieben und mittlerweile Hauptmann einer saufenden, hurenden und brutal mordenden Räuberbande geworden. Seine Braut Amalia sowie der alte Vater warten treu und verzweifelt auf seine Rückkehr und müssen den Machthunger des Bruders Francesco in der Zwischenzeit beinahe mit dem Leben bezahlen.
So weit, so dramatisch. Nur dass Amalia ihre Klage darüber in irritierend «lüpfigem» Dur trällert, genauso wie Bösewicht Francesco seine teuflischen Pläne in geradlinig treuen Phrasen schmiedet.
Im Sog der Gefühle
Wer sich da bereits in eine italienische Osteria sehnt, um die Oper gleichsam «in angemessenerem Umfeld» geniessen zu können, hat die Rechnung allerdings ohne den Komponisten gemacht. Diese lautet: Je chaotischer die Bühnensituation, desto besser der Verdi. Je mehr sich nämlich die Intrige zuspitzt, umso mehr Sog entwickelt auch die Musik. Mit reibender Chromatik und unheilvollen Trillern werden die inneren Stürme der Figuren angedeutet. Und davon gibt es mehr als genug in diesem Werk. Nur das liebende Gegenüber, das bleibt aus.
In Vereinzelung singen Verdis Figuren ihre Rezitative, Arien und Cabalettas. Und ähnlich heterogen – wenn auch jede für sich durchaus überzeugend – sind auch die Stimmen der Sänger. Während der «verlorene» Sohn Carlo alias Fabio Sartori seine Arien in echt italienischer Opernmanier geschmeidig und sonorst aus dem Brustregister spannt und dabei dem einen oder anderen kleinen Schluchzer nicht abgeneigt ist, kann sein intriganter Bruder mit stimmlichem Ränkeschmieden wenig anfangen: In bombensicherem Bariton gehen Thomas Hampson als Francesco die wüsten Pläne über die Lippen. Geradeaus mittels glatter, wiewohl phonstarker Phrasen. Hampson wäre der ideale Tyrann gewesen, aber in der Rolle des hinterhältigen Bösewichts lässt er die letzte Eindringlichkeit vermissen.
Als alternder Vater hat Carlo Colombara vokal jene Grösse und Standfestigkeit, die seiner Bühnenrolle abgeht. Und Isabel Rey in der wohl technisch anspruchsvollsten Rolle der Amalia singt sich souverän durch Koloraturen und Höhen, auch wenn sie stimmlich stark gefordert ist. Zum einen durch die hohe Lage ihrer Partie, die Verdi seinerzeit der Primadonna Jenny Lind auf den Leib geschrieben hat, zum anderen durch die Konkurrenz von drei mehr als kräftigen Männerstimmen. Manchmal scheint es, als reiche die Vereinzelung der Figuren bis hinein in die Interpretation, wenn Duette und Ensembles nicht davon leben, wie gut man auf den anderen hört, sondern davon, wie gut jeder sich selbst hört.
Ein Hoch auf den Diener
Die Überraschung des Ensembles ist Benjamin Bernheim. In der Nebenrolle des Dieners Arminio macht er mit rundem, warmem Tenorklang und elegant ausgearbeiteter Interpretation den Protagonisten zumindest musikalisch die Vormachtstellung streitig.
Genauso der von Jürg Hämmerli geleitete Chor, der an diesem Premiereabend wie Pech und Schwefel, oder schlicht wie die eingeschworene Räuberbande, die er spielt, zusammenhält. Ihm gelingen (wiederum eine Überraschung!) vielleicht die eindringlichsten Szenen. Ob mit starken dynamischen Kontrasten, bedrohlichem Schwelen oder exaltiert hervorpreschend: Hier mischt sich reinste Gesangslust mit ebenso viel Können.
Ob da die tollen Kostüme von Johannes Leiacker (von dem auch das Bühnenbild stammt) das Ihrige dazu tun? Karnevalesk und verschmitzt historisierend scheinen sie pure Spielfreude zu sein. Weit weniger davon ist in Guy Joostens Inszenierung zu finden, die sich in solider Opernmanier als diskrete Zudienerin der Musik gibt. Oder will sie die Vereinzelung der Figuren mit ausbleibender Aktion unterstreichen? So oder so: Man wünscht dem Abend Zeit, dass sich die guten Einzelteile vielleicht zu einem genauso guten Ganzen verbinden mögen.