Herbert Büttiker, Der Landbote (20.12.2010)
Wenn der Jahreswechsel naht, blüht die Operette auf. Im Theater St. Gallen schwirrt die «Fledermaus».
Das Opernhaus Zürich hat den Brauch abgeschafft. Dort gibt es an Silvester «Nabucco». Aber mit «My Fair Lady» (Basel), «L’amour des trois oranges» (Bern), «Die Zauberflöte» (Luzern) bieten viele städtische Bühnen noch immer das Heiterste, was sie im Spielplan haben. In Biel ist es die Operette «Gräfin Mariza». Diese kommt dann anfangs 2011 auch ins Theater Winterthur, wo sich am Silvester ein «Bettelstudent» eingemietet hat. Dem alten Brauch ganz treu und recht schön folgt das Theater St. Gallen mit der «Fledermaus» von Johann Strauss in einer ganz frischen Produktion, die am Samstag Premiere hatte.
Glücklich ist, wer vergisst
Gut für die Silvesterparty ist die «Fledermaus» nicht, weil sie ein besonders unbeschwertes Stück ist. Denn hier wird zwar dem Champagner gehuldigt, dem «König aller Weine», aber den brauchen die Figuren des Stücks auch, um ob der ziemlich bösen Analyse ihres bürgerlichen Ehe- und Gesellschaftslebens nicht in eine Depression zu verfallen. Stattdessen gilt die Losung «Glücklich ist, wer vergisst», transportiert in der prickelnden Musik und im deliriösen Takt des Walzers. Vom bürgerlichen Salon der Eisensteins, der ein Ehegefängnis ist, geht es über den Ballsaal des Prinzen Orlofsky, wo alles Maskerade ist, ins Gefängnis der Stadt. Und das könnte ein ordentlich trister Ort sein, wo sich alle mit ihrem Kater und Katzenjammer wiederfinden und die Augen reiben.
Für das Publikum wird es hier aber erst recht fidel. Zum einen hat Robert Geiger auch für diesen dritten Akt ein bezaubernd stimmungsvolles Bühnenbild geschaffen und kommt wieder die schöne Farbigkeit der stiltreuen Kostüme von Thomas Kaiser zur Geltung, zum andern haben wir hier den Gefängniswärter Frosch, der es hundertmal sagt und immer wieder herrlich gut sagt: Das hier ist ein fideles Gefängnis. Wie recht er hat! Mit den alten und neuen Witzen, mit Leuenberger und Implenia, hat Bruno Riedel die Lacher im Publikum auf seiner Seite.
Um einen, der das Lachen schon fast verlernt hat, geht es wiederum im Stück: den Prinzen Orlofsky, der sich über Eisensteins Blamage endlich wieder einmal krummlacht. Wie er das am Bühnenportal tut, wie diese eigenartige Hosenrolle überhaupt in Szene gesetzt ist, transsexuell und transsylvanisch, gehört zum Pointierten der insgesamt präzisen Inszenierungsarbeit von Hansjörg Hack. Zudem gibt die Mezzosopranistin Ursula Hesse von der Steinen der vampirischen Figur zum diabolischen Lachen auch den imponierenden sängerischen Biss. Alles in allem klares Rollenprofil, wenn auch weniger eigen im Zugriff, zeigt mit Steigerung über die drei Akte das weitere Ensemble: Christiane Boesiger als Rosalinde und Alison Trainer als Adele, Jörg Schneider als Eisenstein, Markuse Beam als Dr. Falke, Tijl Faveyts als Gefängniswärter und Weitere. Nur Derek Talor kommt als Tenorliebhaber Alfred über schlechtes Chargieren nicht hinaus.
Schönste Blüten
Glänzend setzten sich die Chöre des Theaters in Szene, und die Tanzkompagnie holt sich mit ihrer skurril antikisierenden Bacchusfeier (Choreografie: Götz Hellriegel) den grossen Szenenapplaus. Am Pult sorgt Sébastien Rouand für gute Koordination und animierte Musikalität in feinen Übergängen, für Melodienzauber, der im Orchester die schönsten Blüten treibt. Wobei die schönsten – die gefühlvolle Oboe, die elegische Trompete – auch die entlarvenden sind: So boshaft ist diese Operette von Johann Strauss. Alles andere von Strauss ist dann Neujahrskonzert, bei dem das Sinfonieorchester St. Gallen in der Tonhalle der Stadt auch anzutreffen ist.