Verena Naegele, St. Galler Tagblatt (20.12.2010)
Es ist eine harmlose «Fledermaus», die das Theater St. Gallen präsentiert: Eine kunterbunte Inszenierung von Hansjörg Hack, ein schmissiges Dirigat von Sébastien Rouland.
Der Champagner fliesst in Strömen, es wird getanzt, geflirtet, intrigiert und betrogen, was das Zeug hält. Das und noch viel mehr gehört zur «Fledermaus», dem Klassiker unter den Operetten schlechthin. Doch den Reiz und die Unvergänglichkeit dieses Evergreens der leichten Muse macht nicht nur ihr Plot über den Kampf und die Anziehung der Geschlechter aus, sondern auch die zündende Melodik und der sprühende Witz in der Musik.
So beliebt und grossartig das Stück an sich ist, so schwierig ist es auf die Bühne zu bringen, die Gratwanderung zwischen Witz und Ironie, zwischen Ernst und Schwank ist schmal. Das Theater St. Gallen versucht, die Fledermaus zum Fliegen und Lachen zu bringen, mit einem gesangsstarken Ensemble, einem agilen Dirigenten und Orchester, einem bacchantischen Ballett und einem Inszenierungsteam, das (allzu) sehr auf Buntheit und üppigen Kostümglamour (Thomas Kaiser) setzt.
Biedere Geschichte
Regisseur Hansjörg Hack wählt ein höchst konventionelles Ambiente, er siedelt die Geschichte zu Strauss' Zeiten an. Entsprechend überladen ist die Szene, geblümt nach Art des Wiener Salons der erste Akt im Hause Eisenstein, grellbunt, ja geradezu kitschig der Ballsaal von Orlofsky (Bühne Robert Geiger). Dazu die Damen in prunkvollen Roben, die Herren im Frack und Eisenstein zu Beginn im prächtigen seidenen Morgenmantel. Das (über-)blendet das Auge und schafft verharmlosende Unverfänglichkeit. Hier rollt eine biedere Geschichte ab, wie es Tausende gibt, und man kennt das unausweichliche Happy End schon zu Beginn.
Das Problematische an Hacks Regie ist, dass man nie weiss, was ironisch, was realistisch gemeint ist. Da sind etwa die als Balletteusen schrill gekleideten Chordamen, die bis zur Lächerlichkeit gekonnt ihre Festseligkeit hüpfen und zelebrieren, im überbunten Raum aber eigentlich real passend wirken (Choreinstudierung Michael Vogel). Oder die Tanzeinlage im Champagnerrausch, als weinseliger Bacchusreigen mit Weintrauben präsentiert (Choreographie Götz Hellriegel) – ironisch oder überzogen? Fremd jedenfalls, auch wenn das Sinfonieorchester St. Gallen unter der Leitung von Sébastien Rouland die Polka «Unter Donner und Blitz» mit grosser Verve interpretierte.
Mühe mit Sprachwitz
Überhaupt spielte das Orchester spritzig, präzise und mit dem nötigen Operettenschmelz – eine gute Grundlage für die Sänger, die in den Ensembles bedeutend homogener sangen als in den Soli. So waren etliche Schwachpunkte auszumachen. Bei einem mit Sprachwitz spielenden Stück wie diesem haben fremdsprachige Sänger leider zuweilen ihre liebe Mühe. Da wirkte Derek Taylor als stimmgewaltiger Tenor Alfred geradezu unbeholfen, und Markus Beam kam als Falke sowohl sängerisch als auch darstellerisch nicht über steife Gestik und schlechte Aussprache hinaus.
Die stämmige Adele (Alison Trainer) und die hagere Ida (Michaela Frei) dagegen wurden in ihrer komischen Gegensätzlichkeit von der Regie äusserlich in Szene gesetzt. Gewinnend die Schweizerin Christiane Boesiger als Rosalinde, die mit zweideutiger Gestik, Mimik und witzigen Wortgefechten ihre Rolle garnierte. Schade, dass ihrer weichen, lyrischen Stimme die dramatische Durchschlagskraft (in der Tiefe und Mittellage) für ihre grosse Ungar-Arie im zweiten Akt fehlte.
Eine Klasse für sich war Jörg Schneider als Eisenstein, er beherrscht mit seiner hell timbrierten Tenorstimme und wohlbeleibten Erscheinung alle Facetten des operettenhaften Witz-Ernstes. Diese Nonchalance präsentierte auch Bruno Riedl als Gerichtsdiener Frosch, der den dritten Akt kabarettistisch mitprägte. Mit nüchterner Genauigkeit setzte Riedl die berühmten Pointen, und seine tagespolitischen Kalauer ernteten zu Recht die Lacher des Publikums. Hier, im nüchtern grauen Gefängnis, konnte sich das Auge und die Aufmerksamkeit mehr auf die Mimik, auf die Geschichte konzentrieren und sich auch am Gefängnisdirektor des schlaksigen Tijl Faveyts freuen. So konnte der als schriller Transvestit gezeichnete Orlofsky, prägnant gesungen von Ursula Hesse von den Steinen, zum Schluss an der Rampe denn auch herzhaft lachen. Der Abend endete damit nach dem Motto «Chacun à son goût».