Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (17.01.2011)
«Falstaff» nach Shakespeare, aber nicht von Verdi, sondern in der Fassung von Otto Nicolai hatte am Samstag in Bern Premiere. Eine manchmal leicht überdrehte Komödie mit einigen sehr schönen, tief romantischen Musikmomenten.
Ohne «Die lustigen Weiber von Windsor», die immerhin da und dort aufgeführt werden, würde man den 1810 im äussersten Osten des damaligen Deutschland, in Königsberg, geborenen Komponisten Otto Nicolai gar nicht kennen. Dabei hatte er in Italien und Wien zahlreiche Opern erfolgreich auf die Bühne gebracht und konnte durchaus mit Gaetano Donizetti, Vincenzo Bellini & Co mithalten. Die komische Oper über Shakespeares Komödie, geschrieben in der Tradition des deutschen Singspiels, 1849 in Berlin vollendet und uraufgeführt, sollte sein letztes Werk bleiben: Er starb noch im selben Jahr in Berlin.
Der Vergleich mit Verdis spätem Meisterwerk drängt sich auf - und ist unfair. Denn zu unterschiedlich waren die Absichten und Voraussetzungen. Nicolai schwebte eine komische Märchenoper im romantischen Gewand vor, was er unter anderem dadurch unterstrich, dass er dem jungen Liebespaar Anna und Fenton die mit Abstand schönste Musik und breiten Raum für romantische Arien und Duette bot. Musik, die auch heute unmittelbar bezaubert, ebenso wie die märchenhaft stimmungsvolle Orchestereinleitung zum Schlussbild im nächtlichen Wald.
In diesen Klangsphären war auch am Samstag im Stadttheater Bern der Dirigent Srboljub Dinic mit den Musikern des Berner Sinfonieorchesters eher zu Hause als in den turbulenten Momenten der oft recht floskelhaft und schematisch abschnurrenden Komödie, die trotz des Bemühens um Leichtigkeit, Tempo und Spritzigkeit musikalisch doch immer wieder etwas schwerfällig wirkte.
Tempo und Drive heruntergefahren
Nicht unschuldig am Eindruck der Schwerfälligkeit war die Sopranistin Noëmi Nadelmann, welche die Rolle der Frau Fluth - auch sängerisch - betont exaltiert anlegte, und mit ihren breit ausgesungenen Fortissimo-Koloraturen immer wieder Tempo und Drive herunterfuhr. Man kann das so singen, und sie konnte es auch, verbunden zudem mit ihrem schauspielerischen Talent und ihrer Bühnenpräsenz gelang Nadelmann eine durchaus vergnügliche Karikatur ihrer Figur. Die anderen komödiantisch angelegten Figuren stach sie damit aus, darunter auch den Falstaff von Günter Missenhardt, der sich seinen roten Teppich gleich selbst ausrollen musste und auch sonst eher etwas verloren in den Szenerien herumstand. Sängerisch hat der verdiente deutsche Charakterbariton noch immer einiges zu bieten, wenn auch seine Stimme an Geschmeidigkeit und Klangfarben verloren hat.
Einen Achtungserfolg erzielte Gerardo Garciacano als Herr Fluth und vor allem in der Rolle als verkleideter Spion. Darstellerisch überzeugte Jan-Martin Mächler als Junker Spärlich, eine Schnarchtüte im wahrsten Sinne des Wortes: Dass er immer wieder mitten im Satz einpennt, ist ein gelungen umgesetzter Running Gag dieser Inszenierung von Gerald Stollwitzer. Andere Pointen wirkten bisweilen arg kalkuliert und in ihrem Sitcom-Humor verstaubt, was dem Vergnügen des Premierenpublikums allerdings keineswegs abträglich war.
Romantische Liebesstimmungen
Mehr haften als das gut getimte Gag-Feuerwerk blieben die romantischen Liebesstimmungen in einem luftig-leichten Bühnenbild von Romy Springsguth. Vor allem der Tenor Andries Cloete setzte ein ums andere Mal zu Höhenflügen an, die Chiara Skerath als Anna nicht minder berückend zurückgab, wobei die Schönheit bei ihr eher sängerischer Selbstzweck blieb als zur Zeichnung der Figur beitrug.