Peter König, Der Bund (17.01.2011)
Volles Haus und beste Stimmung für Otto Nicolais Meisterwerk «Die lustigen Weiber von Windsor» im Stadttheater. In der witzigen und unterhaltsamen Revue ragt Günter Missenhardt heraus, dessen Auftritt allein schon das halbe Eintrittsgeld wert ist.
So voll war das Stadttheater bei einer Opernpremiere schon lange nicht mehr – aber weshalb? Gegeben wurden weder ein italienischer Gassenhauer noch ein Werk von Richard Wagner, auf dem Programm standen «Die lustigen Weiber von Windsor» von Otto Nicolai (1810– 1849). Während Verdis Falstaff Bestandteil des Repertoires ist, zählen die «Weiber» eher zu den Raritäten.
Bekannt geblieben ist die Ouvertüre, ein Kleinod von sublimer Melodik. Damit konnte Srboljub Dinic am Pult des gut aufgelegten Berner Symphonieorchesters auch gleich die musikalische Richtung zeigen. Denn Nicolais komisch-fantastische Oper ist nicht nur innerhalb des deutschen Fachs schwer einzuordnen, sie trägt auch italienische Züge.
Stilsichere Regie
Nicolais frühe Opern wie «Il Templario» oder «Il Proscritto» sind Werke im Stile von Zeitgenossen wie Donizetti. Auch die «Weiber» sind geprägt vom melodiösen Belcanto. Gesprochene Dialoge wie in der Spieloper und Elemente der Romantik ergeben ein interessantes stilistisches Kaleidoskop. Bei Dinic steht das Leichte, Verspielte der Partitur im Vordergrund, nur gelegentlich dringt der schwerblütigere deutsche Grundton durch.
Frau Fluth (bei Shakespeares Alice Ford) steht im Mittelpunkt der Handlung. Ein heruntergekommener Adliger, masslos in allen Belangen, ist so dumm, zwei Freundinnen gleichlautende Liebesbriefe zu schicken. Diese sinnen auf Rache. Das Ganze garniert mit einem jungen Liebespaar und dem eifersüchtigen Herrn Fluth – fertig.
Noemi Nadelmann hatte in Bern als Lucia und Violetta bedeutende Erfolge. War das Theater deshalb voll oder wegen des seither medial gemehrten Ruhmes der Sopranistin? Sie gibt Frau Fluth als Person von Stand. Madame liest «Vogue». Leicht exaltiert, aber der Rolle gerecht findet Nadelmanns Stimme nach etwas flackerndem Beginn bald in sicheres Fahrwasser. Christa Ratzenböck ist als Frau Reich eher die biedere Hausfrau, ein gut funktionierender Kontrast. Sängerisch ist sie auf der Höhe der weniger dankbaren Rolle. Die Dritte im Weiberbunde, Tochter Anna Reich, wird von Chiara Skerath als spätpubertierende Tussi aus der Agglo dargestellt.
Weshalb gerade drei Freier ein Auge auf ausgerechnet dieses Mädchen geworfen haben, wird da so wenig plausibel wie oft im richtigen Leben. Andries Cloete (Fenton) ist die musikalische Überraschung des Abends. Sein bisher eher in Comprimario-Rollen gehörter Tenor findet zu Höhensicherheit und lyrischer Innigkeit, die ihn auch künftig für grössere Aufgaben empfehlen. Auch Milcho Borovinov als Dr. Cajus und vor allem Jan-Martin Mächler als verschlafener Spärlich (nomen est omen) setzen stimmliche und szenische Glanzlichter.
Einmal wird der eingenickte Spärlich sogar vom Dirigenten angepflaumt, er sei hier bezahlt fürs Singen. Das war nur einer von mehreren Einfällen des Regisseurs Gerald Stollwitzer, der den Grat zwischen Komik und Klamauk stilsicher beschritt und für eine witzige, unterhaltende Revue in passenden Dekors von Romy Springsguth sorgte. Ebenfalls trefflich besetzt die Herren Fluth und Reich: der eine (markant: Gerardo Garciacano) eifersüchtig bis aufs Blut, der andere (abgeklärt: Martin Lorenz Weidmann) eher seinem Garten zugetan. Zusammen mit den Frauen ergibt das fast die Standardbesetzung einer englischen Sitcom.
Ein Falstaff von Rang
Lustig ist auch, wenn Fluth als «Sir Bach» verkleidet Falstaff um Rat angeht und hören muss, was jener, also er selber, doch für ein Trottel sei. Und dieser Sir John Falstaff oder besser: der Wahlberner Günter Missenhardt ist der wahre Star des Abends. Sein Alter ist ihm nicht anzumerken – der bayrische Bassist hat vor fast einem halben Jahrhundert noch mit Fritz Wunderlich auf der Bühne gestanden. Allein sein Auftritt ist das halbe Eintrittsgeld wert: ein Stenz mit Toupet, auf juvenil getrimmt und so krampfhaft um Würde und Haltung bemüht, dass es schiefgehen muss – Gedanken an real existierende Personen sind erlaubt.
Der vielleicht beste Regieeinfall: Falstaff ist nicht dick (wie er selber sagt: «Wo früher meine Leber war . . .»). Das bedingt kleinere Anpassungen im Text («zu schick» statt «zu dick»). Die sanfte Renovation bekommt der Story gut, wenn auch die Spannung im zweiten Teil etwas nachlässt.
Das Premierenpublikum honorierte den Abend mit anhaltendem Beifall. Ob das für den lange ersehnten Turnaround in der Berner Opernsparte reicht, bleibt abzuwarten.