Betörend statt verstörend

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (09.05.2006)

Don Giovanni, 07.05.2006, Zürich

Ein glatter Mozart: «Don Giovanni» am Opernhaus Zürich

Franz Welser-Möst und Sven-Eric Bechtolf zeigen «Don Giovanni» buffonesk, cool, in einem edlen Ambiente. Trotz hohem Niveau vermögen sie jedoch der Figur keine neuen Facetten abzugewinnen.

Sven-Eric Bechtolf hat in den letzten Jahren mit seinen ersten Opern in Zürich – «Lulu», «Die tote Stadt», «Pelléas» – schonungslos genaue Beobachtungen am lebenden Objekt inszeniert; am Pult stand jeweils Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst. Das Gespann ist dasselbe, die Absicht auch, doch der Funke springt nicht: Ästhetisch zu schauen und zu hören, bleibt dieser Anfang zu einem neuen Da-Ponte-Zyklus inhaltlich unentschieden.

Einzelheiten

Das Geschehen spielt sich in einem eleganten Ballsaal mit goldenen Wänden, der sich hinten videovermittelt im Unendlichen verliert (Rolf Glittenberg), ab. Zwischenvorhänge verkleinern den Raum bei Bedarf bis auf einen schmalen Streifen an der Rampe. Das Leben ist ein Fest in Kostümen der 1940er (Marianne Glittenberg), hier jagt Don Giovanni, hier heiraten Zerlina (Martina Jankova charmant, aber mit störendem Vibrato) und Masetto (Reinhard Mayr), hier wird der Komtur (Alfred Muff) aufgebahrt.

Wenn Donna Anna hereinstürzt, richtet sie ihre Wut auf die Männer allgemein – dafür stehen schon Tanzpaare bereit. Immer wieder tauchen sie auf als Charleston tanzendes Volk oder zur Vergötterung des weisshaarigen Langweilers Don Ottavio (glänzend singend: Piotr Beczala). Mehr als individuell einleuchtende Einzelideen ergeben sich daraus nicht. Bechtolf spricht im Programm von düsterem Glanz und von Rätselbildern und will in «Don Giovanni» keine Botschaft sehen – im Endeffekt weiss man nicht so recht, welche Geschichte er eigentlich erzählen will.

Immerhin ist Bechtolf Theatermensch genug, um zwischen den Personen immer wieder starke Momente zu erzeugen. Warum aber Donna Anna bei Eva Mei mehr Dame als junges Mädchen ist, edel bis in die Koloraturen der Verzweiflung, oder was Donna Elvira antreibt, wenn nicht dramatischer Furor (über den Malin Hartelius leider nicht verfügt), bleibt unbeantwortet. Auch Leporellos Komödiantik wirkt beim etwas dumpfen Anton Scharinger zwar unmittelbar, bleibt aber auch Einzelmoment.

Giovanni Bond

Im Zentrum des gesamthaft doch sensibel aufeinander reagierenden Ensembles steht er: der Don Giovanni von Simon Keenlyside. Die anderen sind nicht mehr als seine Trabanten, angewiesen auf sein Licht. Eine einleuchtende Idee, praktisch aber rasch wenig interessant.

Es ist frappierend zu sehen, mit welcher Leichtigkeit und Natürlichkeit der Engländer agiert, cool wie James Bond und mit hinreissendem Bariton. Gerade in der Mezzavoce betört er mit perfektem Legato und enormem Ausdrucksspektrum, dazu seine Bühnenpräsenz. Nur gefährlich wird er nie, dieser Giovanni schmeichelt mehr, als dass er dämonisch unwiderstehlich wäre.

Das liegt auch an Franz Welser-Möst, der mit dem blendend aufgelegten Opernhausorchester viele wunderschöne, subtile Details herausarbeitet und einen exquisiten Gesamtbogen spannt, mit durchwegs langsamen bis sehr langsamen Tempi das Unheimliche und Vorwärtstreibende der Don-Giovanni-Partitur aber dem Schönklang unterordnet. Bei aller Ästhetik und Klasse wirkt dieser Don Giovanni geglättet, das Verstörende und Beunruhigende Giovannis fehlt.