Geschlechterkrieg im Reich der Spiesser

Oliver Meier, Berner Zeitung (17.01.2011)

Die lustigen Weiber von Windsor, 15.01.2011, Bern

Stadttheater - Ein Heidenspass: Mit leichter Hand bringt der junge Regisseur Gerald Stollwitzer Otto Nicolais Oper «Die lustigen Weiber von Windsor» auf die Bühne. Eine stringente Produktion, die auch musikalisch überzeugt.

Frau Fluth und Frau Reich haben genug – und man kann das verstehen: Da hat sich Sir John Falstaff doch erdreistet, den beiden Damen denselben Liebesbrief zu schicken, triefend vor ambitiösen Reimen: «Und kurz und gut/ich habe Mut/ich liebe dich/Herzinniglich.» Empört beschliessen sie, dem Möchtegern-Don-Juan eins auszuwischen – und ganz nebenbei Herrn Fluth eine gepfefferte Lektion zu erteilen, der die Gattin mit seiner krankhaften Eifersucht drangsaliert. Die «listigen Weiber» setzen einen Komplottreigen in Gang, an dem sich später ganz Windsor beteiligt – dieses Spiesserstädtchen, wo die Gartentulpen akkurat ausgemessen und die Büsche in vollendeter Geschmacklosigkeit frisiert werden.

Turbulente Posse

«Komisch-fantastische Oper in drei Akten» nannte der preussische Komponist Otto Nicolai (1810–1849) sein Werk, basierend auf William Shakespeares «The Merry Wives of Windsor». Shakespeares turbulente Komödie wird hier zur romantisch-biedermeierlichen Posse voller Verwechslungen, Zoten und Übertreibungen. Satirische Schärfe sucht man vergebens, dafür regiert die Ironie, der augenzwinkernde Blick. Und dieser gilt nicht zuletzt der Opera buffa, jener Gattung des scherzhaften Musiktheaters, die zu Nicolais Zeiten schon ziemlich in die Jahre gekommen war. Überlange Gefühlsarien fehlen ebenso wenig wie parodistische Zitate und aufgeblasene Szenen in forcierter Dramatik, und das beginnt schon nach der Ouvertüre in der Liebesbriefszene, die offenkundig eine Nummer zu gross «geraten» ist.

Nicolais Volksoper ist bei Gerald Stollwitzer in guten Händen: Der 31-jährige Österreicher, von 2007 bis 2010 Regieassistent und Abendspielleiter am Stadttheater, zeigt bei seiner ersten Grossproduktion eine Regiearbeit, die über weite Strecken mit schwungvoller Leichtigkeit aufwartet und in Sachen Fantasie und Detailverliebtheit mitunter an die Inszenierungen von Mariame Clément («La Traviata», «Il Barbiere di Siviglia», «La Bohème») erinnert.

Stollwitzer inszeniert «Die lustigen Weiber von Windsor» als munteren Geschlechterkampf im Reich der Spiesser, mit Frauenzimmern, die mit allen Wassern gewaschen und den Herren bei weitem überlegen sind. Sein Interesse gilt denn auch weniger dem vermeintlichen Frauenhelden Falstaff als den Reibereien des Ehepaars Fluth, wobei Stollwitzer die Brutalität des Gatten und die seelische Misere der Frau Fluth recht deutlich heraustreicht.

Das Regieteam hat die Vorlage nicht nur psychologisch verfeinert, sondern auch entstaubt. Das zeigt sich bei den Kostümen (Susanne Schwarzer) ebenso wie beim Bühnenbild im ersten Teil (Romy Springsguth), das die Wohnung der Fluths in ihrer geschmacklosen Säuberlichkeit illustriert, aber auch bei der Zeichnung gewisser Figuren. Stollwitzer geht dabei so zwanglos vor, dass selbst das Handy und der iPod von Tochter Reich nicht sonderlich bemüht wirken. Es gibt indes auch des Guten zu viel: Die hinzugedichteten Sprüche etwa («Lieber Freibier als Shakespeare», «Wo früher meine Leber war, ist heute eine Minibar») hätte man sich auch schenken können.

Nicolais Musik ist eine glückliche Mischung aus italienischen Belcanto-Melodien und französischen Rhythmen. Aber auch die deutsche Romantik kommt zum Zug, vor allem im dritten Akt, der den Geschlechterkrieg in den Windsor-Wald verlegt und mit den surrealen Effekten von Shakespeares «Sommernachtstraum» – und Mendelssohns gleichnamiger Bühnenmusik – spielt. Das Berner Symphonieorchester unter der Leitung von Srboljub Dinic arbeitet diese Elemente solide heraus – mit demselben Schwung, derselben Detailtreue, die auch die Inszenierung auszeichnet.

Nadelmann im Schuss

Auch das Sängerensemble – mitsamt Stadttheaterchor als Windsor-Gemeinde – lässt wenig zu wünschen übrig. Griffige Rollenporträts der Protagonisten stehen neben munter karikierten Nebenfiguren, darunter die Verehrer von Tochter Anna Reich (Chiara Skerath), die ihren Teenie-Part gesanglich wie darstellerisch mit Bravour meistert und zusammen mit ihrem Liebhaber Fenton (Andries Cloete) für die wenigen wahren Gefühlstöne sorgt. Günther Missenhardt gibt Falstaff mit kräftigem Bass als virilen Dandy und Kampftrinker im Rentenalter, während Gerardo Garciacanos Herr Fluth als uniformierter Militärkopf auftritt, dem man die krankhafte Eifersucht allerdings nur halbwegs abnimmt.

Und Noëmi Nadelmann? Mit ungebremster Spielfreude und strahlenden Sopran, wenn auch ohne letzte Beweglichkeit in den Koloraturen, stürzt sie sich in ihre Debütrolle als aufgekratzte Frau Fluth, die mit Frau Reich (Christa Ratzenböck) gegen die krude Männerwelt aufbegehrt. Der emanzipatorische Akt wird durch das Happy End der Vorlage allerdings arg unterlaufen. Aus Windsor, dem Reich der Spiesser, gibt es kein Entrinnen.