Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (25.01.2011)
Oper Cecilia Bartoli singt im Opernhaus Zürich in Gioacchino Rossinis «Le Comte Ory»
Genug diskutiert, wer oder was für den 5-Millionen-Verlust in der Kasse des Zürcher Opernhauses verantwortlich ist. Jetzt gilts der Kunst. Innerhalb kurzer Zeit stemmt Hausherr Alexander Pereira gleich zwei Premieren. In einer Woche gibts einen neuen «Tannhäuser» voller Stars und am Sonntag stand eine Oper aus der Reihe «Wünsch dir was, du bist der Superstar!» an. Wunschlos glücklich gemacht wurde Publikumsliebling Cecilia Bartoli, wollte sie doch überraschenderweise die Adèle in Gioacchino Rossinis 1828 uraufgeführter Opernkomödie «Le Comte Ory» singen.
Ein Werk, das grosse Opernhäuser meist nur dann spielen, wenn sich der beste Rossini-Tenor der Welt die Ehre gibt – zurzeit also Juan Diego Florez. Doch Primadonna und Primo uomo wäre wohl etwas gar viel auf derselben Bühne... Um Bartoli den Abend so angenehm wie möglich zu gestalten, engagierte man einen anderen Tenor, ihre Lieblinsregisseure, ihren singenden Lebenspartner Oliver Widmer – und das Opernhausorchester trat in der Formation La Scintilla an, spielte also auf historischen In-strumenten. Wen wunderts, dass der Abend prächtig gedieh und zum umjubelten Triumph wurde.
Das lag auch daran, dass mit Javier Camarena ein junger Tenor in der Titelrolle zu hören war, der in seinen besten Momenten ein wenig an Florez erinnert. Dem süss-näselnden Timbre Camarenas sind vielleicht ein paar Schwingungen weniger eigen als jenem des Tenorprinzen – wunderbar ist es allemal. Camarena spinnt zärtliche Bögen wie eine Oboe, durch die Koloraturen schlängelt er sich wie ein Piccolo und die Spitzentöne setzt er wie eine Silbertrompete.
Cecilia Bartoli beweist einmal mehr, dass sie aus ihren kleinen Mängeln grösste Kunst gemacht hat. Es gibt keine andere Sängerin, die eine so kleine Stimme so einzigartig erfolgreich einsetzt. Interessant auch, wie sie Fächergrenzen auflöst: Gewiss funkelt die Stimme in den Tiefen in prächtigen Bernsteinfarben und flackert hoch oben eher farblos. Aber Bartoli nimmt in der Höhe die Dynamik so klug zurück, dass dieses Flackern hinreissend scharf wie ein Diamant wird. Die Koloraturen werden in diesem fein ausgehörten Spiel nur mehr Beigabe, sind kein Showelement, auf das sie mit dem Finger zeigen müsste.
Beachtliche Sänger
Liliana Nikiteanu (Ragonde), Carlos Chausson (Gouverneur) und Oliver Widmer (Raimbaud) halten sich neben diesen zwei Sängern beachtlich, Rebeca Olvera (Isolier) fällt mehr durch ihr Spiel auf. Aber alle diese Sänger passen perfekt zueinander und sie haben mit Muhai Tang einen Dirigenten, der sie prächtig unterstützt. Dass er das erste Mal mit historischem Instrumentarium arbeitet, merkt man kaum. Mit der famosen Leistung beweist La Scintilla, wie hoch das Niveau in dieser Formation ist. Fast unheimlich, wenn diese Rossini-Zaubermusik nicht nur schnurrt, sondern wahrhaft gehaltvoll klingt: trotzig, ja sperrig bisweilen, aber ungewohnt frisch – schlicht herrlich
Ähnlich kann man über die Regie sprechen. Sie ist klug durchdacht, hochmusikalisch – und lustig. Moshe Leiser und Patrice Caurier schaffen es auch, Peinlichkeiten zu übergehen. Von denen gibt es nämlich einige, geht es doch in dieser Oper nach Aussage der Regisseure um den «entspannten, lustvollen Umgang mit Sexualität».
Und das geht so. Derweil die Männer eines Provinzstädtchens im Krieg sind, kümmert sich der Graf Ory als Eremit und Wunderheiler um die Damen des Ortes... Selbst die Gräfin, die der Eremit erobern will, vertraut sich ihm an. Als alles auffliegt, beginnt erst der zweite Akt! Als Nonne verkleidet, dringt der Graf nun mit seinen Kumpanen ins Schloss ein, um sich erneut der Gräfin zu nähern. Das Trompetensignal der heimkehrenden Krieger macht auch diesem Spiel ein Ende. Leiser/Caurier setzen die Handlung in die 68er des letzten Jahrhunderts, führen die Personen mit liebevoller Zurückhaltung, lassen Autos über die Bühne fahren, ja Lampen explodieren und sorgen für zweieinhalb überaus stimmungsvoll wirbelnde Stunden.
Für solche Abende umkurven die Zürcher Opernfreunde die Baustelle mühelos und bezahlen, wie einst, mit Freude 320 Franken für den Parkettplatz.