Susanne Kübler, Der Bund (25.01.2011)
«Le Comte Ory» ist nicht Rossinis beste Oper. Aber Cecilia Bartolis blaustrumpfiger Auftritt im Zürcher Opernhaus ist sehenswert.
Was tut dieser Comte Ory nicht alles für seinen Erfolg auf der Schürzenjagd! Erst bezirzt er als falscher Eremit die halbe Dorfbevölkerung (beziehungsweise die ganze weibliche), dann schmuggelt er sich als Nonne verkleidet ins Schloss der angebeteten Adèle. Und wie naiv ist diese Adèle! Es fällt ihr nicht auf, dass der «Eremit» fast den Kopfstand macht, um ihr unter den Rock zu schauen; sie wundert sich nicht darüber, dass die «Schwester Colette» Tenor singt; und sie bemerkt auch nicht, dass die «Nonnen» beim Nachthemdfassen den halben gräflichen Weinkeller wieder herausrülpsen.
Realismus ist also nichts, was in Gioachino Rossinis zweitletzter Oper «Le Comte Ory» eine Rolle spielen würde. Es geht vielmehr um das Vergnügen an absurden Situationen und überzeichneten Figuren – und diesbezüglich geht die Produktion, die das mittelalterliche Geschehen in die leicht verklemmten französischen 60er-Jahre verlegt, aufs Ganze.
Man kann sich vorstellen, wie sehr sich der Kostümbildner Agostino Cavalca amüsiert hat, als er die Morgenröcke und Filzpuschen und Lockenwicklerfrisuren für die Hofdamen entworfen hat. Und wenn alle gespannt hinschauen, ob Adèles Vertraute den Faden nun endlich ins Nadelöhr bekommt – dann weiss man viel über die Langeweile auf diesem männerlosen Schloss und ebenso viel über das Verhältnis des Regieduos Moshe Leiser/Patrice Caurier zur komischen Präzision.
Die Pointen sitzen nicht immer
Musikalisch ist dagegen vieles in diesem Stück eher Massen- als Massarbeit. Etliche Nummern hat Rossini aus seiner Oper «Il viaggio a Reims» übernommen, und allzu oft setzt er auf Standardsituationen: Der Lehrer des Comte Ory (Carlos Chausson) kommt wohl nur deshalb zu einer Arie, weil eben irgendwo noch ein Bass auftreten sollte. Der Chor hat reichlich schematisch zu jubeln. Und auch die Trinkszene im Schloss ist ein allzu lang geratener Klassiker.
Da hilft es wenig, dass Muhai Tang, der Noch-Chefdirigent des Zürcher Kammerorchesters, bei seinem ersten Auftritt am Zürcher Opernhaus ganz auf die szenische Kraft dieser Musik setzt. In der Ouvertüre sitzen die Pointen nicht immer, und gegen die Bremswirkung der Da-Capo-Arien wäre jeder Dirigent machtlos. Umso bemerkenswerter ist, was Tang und das Orchestra La Scintilla im Laufe des Abends an Schwung und Farben und Leichtigkeit erspielen.
Bei Cecilia Bartolis Adèle ist diese Leichtigkeit von Anfang an da. Im Deuxpièces, mit strenger Frisur und braver Brille nimmt sie Platz auf dem Leopardensofa, das Bühnenbildner Christian Fenouillat dem «Eremiten» in den Wohnwagen gestellt hat. Altjüngferlich spitz klingen auch die Koloraturen, mit denen sie ihr Leid klagt: Witziger, wirkungsvoller lässt sich der Tragödienton nicht verulken.
Auch wenn es schon eine Weile her ist, seit Bartoli als Rossinis Rosina berühmt geworden ist: Ihr Umgang mit seiner Virtuosität, seiner Ironie, seinen Doppelbödigkeiten ist nach wie vor konkurrenzlos – und ihr Einsatz von Stimmbändern, Beinen und Blicken konkurrenzlos kompromisslos. So könnte man noch lange schwärmen von ihrem Auftritt, wenn es nicht noch andere zu loben gäbe. Adèles Vertraute etwa, die dank Liliana Nikiteanu zur umwerfend schrulligen Figur wird. Und dann ist da vor allem Javier Camarena als Comte Ory: Der Mexikaner ist seit 2007 im Ensemble des Opernhauses – und schon mehrfach aufgefallen. Er ist kein Schmalztenor, auch kein Balztenor; sondern einer, der einem seine Figuren mit sympathischem Auftritt und sensibler Stimme nahebringt.
Ein Mann, eine Frau, ein Page
Das galt insbesondere für die Aussteiger in Haydns «La fedeltà premiata» und Bizets «Les pêcheurs des perles». Und ein Aussteiger – aus der herrschenden Moral – ist Camarena auch als Comte Ory wieder, das zeigt neben seiner amourösen Abenteuerlust auch sein Cannabis-T-Shirt.Vor allem aber schafft er genau wie Cecilia Bartoli mühelos den Übergang zur schönsten Szene des Abends. Es ist eine Ménage à trois; mitbeteiligt ist auch der von der wunderbar knabenhaft singenden Sopranistin Rebeca Olvera dargestellte Page Isolier, der ebenfalls in Adèle verliebt ist.
Es tut einem fast Leid, dass Ory danach unverrichteter Dinge abziehen muss. Und gleichzeitig freut man sich noch einmal über eine präzis choreografierte Schlussszene: Selten kann der Chor auch schauspielerisch so sehr zeigen, was er kann.