Schicksal, nimm deinen Lauf

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (09.05.2006)

Don Giovanni, 07.05.2006, Zürich

Franz Welser-Möst, Regisseur Sven-Eric Bechtolf und Titelheld Simon Keenlyside: Dieses Dreigestirn machte die neuste Zürcher Opernproduktion zum sehens- und hörenswertesten «Don Giovanni» seit Harnoncourt/Kusej in Salzburg.

Am Ende gibts Geschenke: ein Kreuz für Elvira, die ins Kloster geht; einen Mixbecher für Leporello, der sich einen neuen Dienstherrn suchen will; eine Saftpresse für Zerlina und Masetto, die hauptsächlich an Kulinarisches denken; eine Uhr für Ottavio, der noch ein Jahr auf seine Angebete Anna warten muss.

Anna packt ihr Geschenk nicht aus. Was wohl drin gewesen ist? Besser, wir wissen es nicht! Denn das Geheimnis ist auf jeden Fall grösser, als es seine Auflösung hätte sein können. Was hatte Don Giovanni, der von geheimnisvollen Mächten Entrückte Anna schenken wollen? Voodoo? Auf jeden Fall etwas Animistisches, Schamanistisches, Afrikanisches.

«Steinerner Gast» aus Holz

Sven-Eric Bechtolf stand am Zürcher Opernhaus vor dem Dilemma aller «Don Giovanni»-Regisseure: den finalen Höllensturz des Erzverführers legitimieren zu müssen. Er hat sich eines der wenigen übernatürlichen Elemente bedient, welchem Menschen aus der Zeit dieser Inszenierung – irgenwo zwischen Art Déco und Fünfzigerjahre – übernatürliche Fähigkeiten zutrauen könnten.

Ja gut, der «Steinerne Gast» ist eine afrikanische Holzstatue – das verzeihen wir einer Inszenierung noch so gerne, die sich ansonsten fast schon akribisch (und mit stupender Virtuosität) darum kümmert, den gesungenen Texten durch die Szenerie Sinn zu vermitteln. Allein wie Simon Keenlyside am Premierensonntag agierte, wie er immer wieder durch knappe, aber überaus präzise Gesten den Willensmenschen Don Giovanni deutlich machte, war eine Augenweide.

Reigen erotischen Begehrens

Don Giovanni steht nicht für ein Individuum, sondern als Chiffre für die unermüdliche Jagd nach erotischer Lust. Ein Männertraum, dem Mann selbst um den Preis dieses Endes wohl nur allzu gerne nachleben würde. Wie im Kaleidoskop splittert Bechtolf die Figuren auf in ein gutes Dutzend Tänzerinnen und Tänzer, lässt den Reigen erotischen Begehrens in vielen Variationen tanzen. Und dennoch: Selten stand ein Don Giovanni so sehr im Zentrum, selten hatte er so viel reale Verführungskraft wie bei Keenlyside/ Bechtolf. Nur Donna Annas exponierte Stellung im Finale macht ihm Konkurrenz. Don Ottavio, den bereits senil gewordenen Langweiler, wird sie nicht heiraten, so viel ist klar. Aber was sonst? Sie wird tun, was Giovanni vorausgesehen hat. Was war bloss in dem Paket?

Malin Hartelius als Elvira konnte bei ihrem Rollendebüt nicht wirklich die Tiefen und Abgründe ihrer Figur hörbar machen. Zu gleichmässig, zu «schön», zu wenig farbig und aufgefächert war ihr Gesang dafür. Eva Mei als Donna Anna sang nicht wesentlich anders. Aber sie schaffte es, hinter den schönen Tönen und perlenden Koloraturen ein Geheimnis offen zu lassen. Ganz klar die Beste unter den Frauen war Martina Janková als Zerlina, die nicht nur in all ihren Szenen Temperament und Quirligkeit ausspielte, sondern auch der oft eindimensionalen Figur viel Tiefe verlieh.

Höchstleistung im Orchestergraben

Anton Scharinger als Leporello war diesem dominanten Don Giovanni darstellerisch wie sängerisch ein Widerpart von beeindruckender Präsenz und rollendeckender Prägnanz. Dasselbe gilt hier auch für den Masetto von Reinhard Mayr. Piotr Beczala sang den Ottavio nicht ganz schwerelos, aber immer noch mit beeindruckender stimmlicher Schönheit und gewohnt souverän war Alfred Muff als Komtur.

Musikalische Höchstleistungen kamen auch aus dem Orchestergraben. Klangfarblich und artikulatorisch waren viele Elemente historisierender Spielweisen in erstaunlicher Selbstverständlichkeit und technischer Beherrschung vorhanden. Aber Welser-Möst tat weit mehr: Die Wahl seiner Tempi verriet Überlegenheit und Eigenständigkeit, und was er an Details und Akzenten, an Mittel- und Bass-Stimmen herausarbeitete, war gerade in diesem viel gespielten Repertoire-Hit schlicht sensationell.