Opernschwergewicht

Herbert Büttiker, Der Landbote (01.02.2011)

Tannhäuser, 30.01.2011, Zürich

Nur eine Woche nach dem leichten Rossini hievte das Opernhaus am Sonntag mit Richard Wagners «Tannhäuser» einen schweren Brocken auf die Bühne. Zuerst war es ein Stemmen, am Ende ein Abheben – auch mit brachialen Effekten.

Sorgfältige Intonation, steter Puls, fein gestufte Dynamik – die Ouvertüre war ein Versprechen, aber das Fortissimo, das Ingo Metzmacher am Pult steuerte, doch schon auf einem Pegel, der Befürchtungen weckte. Sie trafen zu: Das Bacchanal war zwar noch ein effektvolles musikalisches Spektakel, das Duett Tannhäusers und der Venus dann ein Wuchten von Tönen, dem kaum etwas abzugewinnen war. Vesslina Kasarova gab die Liebesgöttin als Hausdrachen. Ihr herausgepresster Gesang gab kaum einer Silbe die Farbe, sodass Wörter zu hören gewesen wären. Peter Seiffert in dieser Beziehung wenigstens vorbildlich, stemmte sich mit einer Schwere im fast Halbsekundenvibrato der langen Töne durch die Szene.

An diesem Problem der schweren Tenorstimme änderte sich im weiteren Verlauf nichts, aber deren Wucht hatte auch ihre imponierenden Momente, die ins psychisch Elementare gingen, in der sich überschlagenden Dramatik des Sängerkriegs etwa oder in der geradezu brachialen Deklamation der grossen Romerzählung. Differenzierte Musikalität bot Seiffert im zweiten Akt in der Intimität des Duetts mit Nina Stemme. Ihre Elisabeth war nach einer noch etwas hektischen Hallen-Arie mit ausdrucksvoller, geschmeidiger Phrasierung und griffiger Akzentuierung die Seele des Abends. In der vom Gesang der Pilger geprägten religiösen Atmosphäre des dritten Aktes – der mit Zusatzchor und Zuzügern verstärkte Opernchor leistete über die drei Akte prachtvolle Arbeit – gehörte das intensive Piano ihres Gebets zu den Höhepunkten der Oper.

Die Kammermusik

In der Nachtstimmung dieser Szene hatte als weiterer Protagonist auch Michael Volle als Wolfram die Gelegenheit, neben massiver Deklamation auch die lyrische Feinheit seines Baritons auszuspielen, und wie er es ohne aufgesetztes Sentiment tat, war für den «holden Abendstern» und die Stimmung der Szene ein grosser Gewinn. Als Primus inter pares hatte Volle im Mittelakt markant den Sängerkrieg dominiert, sekundiert von Christoph Strehl, Verleriy Murga, Patrick Vogel und Andreas Höri und unter dem würdigen Patronat von Alfred Muff als Landgraf. Einen lieblichen Akzent in die vorlaute musikalische Betriebsamkeit des ersten Aktes hatte Camille Butcher mit dem schlichten, unbegleiteten Hirtengesang gesetzt.

Warum es Ingo Metzmacher, der durchaus ein hörender und kein gestikulierender Dirigent ist, nicht gelang, Wagners Klangmassen ins Opernhaus wirklich einzupassen, mag man sich fragen. Denn undifferenziert agierte das Orchester unter seiner Leitung ja nicht, im Gegenteil: in angemessenen Tempovorgaben durchaus kultiviert und ausgehorcht, mit klar herausgearbeiteten Bläsern etwa, deren «Kammermusik» in der Abendszene ihren Zauber hatte.

Möglich, dass das Bühnenbild als reflektierende Wand einiges zur akustischen Überforderung des Hauses beitrug. Hans Schavernoch hat für Harry Kupfers Inszenierung eine grossflächige bewegliche Glaskonstruktion gebaut, ein kühles, optisch starkes, von Lichtblitzen durchzogenes Ambiente, das die Atmosphäre einer technoiden Moderne ausstrahlt, mit viel rotem Licht für die Szene im Venusberg, mit Projektionen, die im Hintergrund für die Auen einen Golfplatz zeigen, für den Sängerwettstreit ein TV-Show-Bühne, für die Rückkehr der Pilger im dritten Akt eine Bahnhofhalle.

Eine Gegenwartsfigur?

Dass es dem grossen Regisseur hier gelungen wäre, die Tannhäuser-Geschichte mit der Gegenwart auch wirklich in Beziehung zu setzen, lässt sich allerdings nicht sagen. Das zeigt gerade die TV-Szenerie, die keine Lust verrät, sich auf eine Transposition des legendären Sängerkriegs auf der Wartburg im Jahr 1206 in eine Samstagabendshow von heute wirklich einzulassen. Auch wirken einige Fingerzeige der Inszenierung, der TV-Monitor mit den Sängerknaben und die Rockgitarre, die Tannhäuser als Aussenseiter auszeichnet, isoliert und platt.

Mit grossem Aufwand an fantasievollem Kostüm (Yan Tax), der im Getümmel aber auch etwas verpufft, wirkt die Cabaret-Bordell-Szenerie überinstrumentiert. Als Bild existenzieller Verlorenheit am stimmigsten kann die Bahnhofszenerie gelten. In der Offenheit des Erlösungsfinales, das hier eines und keines ist, zeigt Kupfer eine sichere Hand und den Mut zum grossen Finaleffekt.

Inwiefern Kupfer in dieser seiner fünften Inszenierung einen vertiefteren eigenen Zugang zu «Tannhäuser» gefunden haben will, ist nicht auszumachen. Vielleicht besteht er nur darin, dass den Altmeister die Zerrissenheit des Helden zwischen erotischer und religiöser Verabsolutierung der Frau weniger interessiert als die Problematik des Künstlers in der Gesellschaft. Was den religiösen Aspekt der Oper betrifft, so beschränkt sich Kupfer auf die (allerdings musiklose) Präsenz des Klerus im Bordell, im Show-Akt und beim Empfang der Pilger im Bahnhof. Weggeblendet wird so das Verquere der Oper, die zwischen Chromatik und Choralton zugleich Ekstase und Askese, vor allem aber das Opfer der Frau feiert, wie es heute eigentlich schwer nachvollziehbar ist.