Fritz Schaub, Neue Luzerner Zeitung (01.02.2011)
Richard Wagners «Tannhäuser» lässt sich leicht ins Heute übertragen. Regisseur Harry Kupfer aber bleibt in seiner Inszenierung in Zürich auf halbem Weg stehen.
Immer wenn politisch Andersdenkende oder auch Künstler in einer Diktatur in Opposition gehen, werden sie verfolgt, ausgegrenzt, eingesperrt. Der Regisseur Harry Kupfer (75) aus der ehemaligen DDR weiss das nur zu gut. Es war daher zu erwarten, dass er Richard Wagners «Tannhäuser oder der Sängerkrieg auf Wartburg» nicht als «romantische Oper» oder als Märchen inszenieren würde, sondern zeitgemäss.
Die Oper beginnt nach der Ouvertüre mit einem Knalleffekt: Von der Pilgerchor-Melodie, einem der Ohrwürmer dieser Oper, werden wir im Nu in ein Pandämonium der Ausschweifungen, der sexuellen Liebe und des Drogenrausches versetzt. Tannhäuser befindet sich im Venusberg und geniesst ausgelassen die Freuden mit der Liebesgöttin Venus. Unter die halb nackten Damen mischen sich auch einige Kardinäle, die auch sonst immer wieder durch die Szene geistern.
Hochkarätig besetzt
Die Anfangsszene (Choreografie: Philipp Egli) erhält so viel Gewicht, weil Kupfer hier bewusst die für die Pariser Erstaufführung erweiterte Fassung samt Bacchanale übernommen hat, während er sich sonst an die Dresdner Fassung hielt. Und das Orchester der Oper Zürich steigert die Musik unter Ingo Metzmacher zu orgiastisch gleissender Klangpracht, was indes mit einer Lautstärke verbunden ist, welche vorab den Sängern der Venus und des Tannhäuser einige Mühe bereitet. Beide Rollen sind zwar mit sehr bekannten Künstlern, aber kaum adäquat besetzt: Peter Seiffert singt mit schwerer gewordener Stimme nicht mehr so souverän wie in der letzten Inszenierung von 1998/99, und Vesselina Kasarova fehlen bei ihrem Rollendebüt sinnliches Timbre und aus dem Wort geborene deklamatorische Schärfe für eine glaubhafte Liebesgöttin.
Besser haben es die Sänger, die vielfach nur von Bläsern, Streichern oder Harfenklängen begleitet werden: Allen voran Nina Stemme als Elisabeth, Michael Volle als Wolfram von Eschenbach, dem neben dem «Tannhäuser-Chor» (sehr schön der verstärkte Chor der Oper Zürich) der eigentliche «Hit», das Lied an den Abendstern, anvertraut ist. Aber auch Alfred Muff überzeugt als zuerst väterlicher, dann zorniger Hermann, Landgraf von Thüringen.
Verpasste Chance
Wie geht es mit Tannhäuser weiter? Die Gesellschaft, mit der er in Konflikt gerät, ist nicht nur schlecht. Sie wird eher als etablierte Oberschicht dargestellt – auf der illustren Zuschauertribüne beim Sängerwettstreit, vor allem deutlich bei den als smarte Golfspieler erscheinenden Freunden Tannhäusers. Aber eindeutig positiv, mit innigster Wärme gezeichnet sind Elisabeth und Wolfram. Man begreift nicht ganz, weshalb Tannhäuser abtrünnig wird und so stur auf seiner Venus-Leidenschaft beharrt – eine der Ungereimtheiten dieses von Wagner eigentlich nie zu Ende geführten Werks. Umso überraschender und konventioneller das Ende in Kupfers Inszenierung in einer riesigen modernen Bahnhofhalle: Nach dem Tod Elisabeths und Tannhäusers erscheint ein Pilgerzug mit einem hohen Würdenträger an der Spitze und legt einen begrünten Stab auf den gläsernen Sarg, eigentlich ganz so, wie es im Libretto steht, sich aber kaum mit dem Vorangegangenen reimt.