Sigfried Schibli, Basler Zeitung (01.02.2011)
Richard Wagners «Tannhäuser» am Opernhaus Zürich
Es ist seine fünfte Inszenierung der romantischen Oper «Tannhäuser» von Richard Wagner. Harry Kupfer (75) spielt am Opernhaus Zürich noch einmal auf der Klaviatur seiner Regiekunst.
Da ist es also noch einmal, das gute alte Musiktheater realistischer Prägung. Nach dem Tod von Götz Friedrich, Ruth Berghaus und Joachim Herz ist der 75-jährige Harry Kupfer, lange Jahre Chefregisseur der Komischen Oper Berlin, der letzte Überlebende des DDR-Musiktheaters aus seiner Generation. In Zürich hat Kupfer jetzt «Tannhäuser» inszeniert und lässt einen etwas ratlos.
venusberg. Heinrich Tannhäuser ist vom rechten Weg seiner Rittergilde abgewichen und hat den Venusberg ausgekostet – mit allen Freuden der körperlichen Liebe. Kupfer zeigt mit seinem altbewährten Bühnenbildner Hans Schavernoch zuerst einen von teufelsähnlichen Bikiniträgerinnen bevölkerten, puffrot illuminierten Venusberg. Immer sind ein paar geistliche Würdenträger und andere Uniformierte dabei. Aber anstatt uns zu schockieren, vermitteln uns diese Bilder nur ein müdes Déjà-vu-Erlebnis, und das Laszive kippt ins Lächerliche um.
Dann werden wir im zweiten Akt Zeugen einer Casting- show – die um die Wette und um den Preis der Landgrafennichte Elisabeth singenden Minnesänger, unter ihnen Heinrich Tannhäuser, sind offenbar Bestandteil einer Mittelalter-Show im Fernsehen. Privat treffen wir die Lacoste-Hemdenträger auch mal auf dem Golfplatz an.
Weil er Casting-Mitbewerber ist, tritt Tannhäuser immer mit seiner Elektrogitarre auf, die er auch mal wie ein Maschinengewehr gegen seine Konkurrenten richtet. Auch diese milde Form von Medienkritik hat man auf andern Bühnen schon wirklichkeitsnäher und bissiger gesehen, zum Beispiel in den Bayreuther «Meistersingern» von Katharina Wagner.
Beklemmend wird Kupfers Inszenierung erst, wenn er sich von der Dominanz der wuchtigen Bühnenbilder mit ihrem Achtzigerjahre-Neonlampen-Schick löst, seine routinierte Gesellschaftskritik beiseite lässt und ganz auf die Kraft seiner Personenführung vertraut.
personenführung. Im dritten Akt sitzt Elisabeth (strahlend: Nina Stemme) einsam in einer Bahnhofshalle. Die Pilger kehren von ihrer Romreise zurück, und wie Harry Kupfer sie als erschöpfte, unfreie, vom Glauben geknechtete Subjekte zeigt, ist meisterhaft. Wolfram von Eschenbach (eine sängerische Glanzleistung von Michael Volle) besingt verklärt den «holden Abendstern». Aber als die Titelfigur Tannhäuser sich durch eine der Schwingtüren drückt, verdüstert sich alles: Das ist ein Todgeweihter, den es zurück in den Sündenpfuhl treibt. Und der am Ende, nichts ahnend vom Wunder, das er nicht mehr sehen wird, tot zusammenbricht, bevor die ebenfalls tote Elisabeth vorbeigetragen wird.
tenorproblem. Die Besetzung der Titelpartie durch den 57-jährigen Peter Seiffert ist ein Hauptproblem der Zürcher Produktion. Im ersten Akt singt er fast stets zu laut, kennt zwischen Piano und Fortissimo kaum Zwischenwerte. Zwar hält Seiffert konditionell bis zuletzt durch, presst aber häufig die Töne und singt nicht selten neben statt auf der Note. Alfred Muffs Landgraf bleibt ohne Ausstrahlung.
Besser bedienen einen die Damen: Vesselina Kasarova gibt ein vor allem in der Tiefe beeindruckendes Rollendebüt als Venus, und Nina Stemme ist ohnehin eine Klasse für sich. Ein Lichtblick ist der junge Hirt von Camille Butcher. Die von Jürg Hämmerli und Ernst Raffelsberger einstudierten Chöre leisten gute Arbeit. Laut, aber weitgehend makellos und inspiriert spielt das Opernhaus-Orchester unter der Fuchtel von Ingo Metzmacher.