Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (01.02.2011)
Selten engagiert das Zürcher Opernhaus so viele grosse Namen aufs Mal wie beim neuen «Tannhäuser». Und selten ist eine Aufführung derart missglückt.
Das Schwert ist ein wenig aus der Mode gekommen seit dem Mittelalter, auch die Leier hat ausgedient. Ein heutiger Künstler, erst recht ein Rebell wie der Minnesänger Tannhäuser, spielt E-Gitarre – so hat es der Starregisseur Harry Kupfer beschlossen, der mit seinen 75 Jahren in Sachen Jugendkultur verständlicherweise nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand ist. Genauer hat er bei den Senioren hingeschaut: Bei jenen, die sich im Venusberg noch einmal ihre Männlichkeit beweisen wollen. Oder bei jenen, die auf dem Golfplatz in professionellen Schuhen ihr Bier trinken. Dass sie auch dort ihre E-Gitarren dabei haben – nun ja, das kann man als künstlerische Freiheit abbuchen.
Man würde es wohl auch tun, wenn bis zu diesem Moment nicht schon so vieles schiefgegangen wäre in diesem neuen Zürcher «Tannhäuser». Wenn das Bühnenbild im Venusberg nicht so laut geklappert hätte beim Verschieben. Wenn sich der riesige Aufwand für diese der späteren Pariser Fassung entlehnten Rotlichtszene – Tänzerinnen! Kostüme! Aufzugsbett! – auch künstlerisch gelohnt hätte. Wenn es einen Grund dafür gäbe, dass die Minnesänger sich in Golfer verwandeln. Oder wenn wenigstens die Hauptfiguren zur Geltung kämen!
Laut, lauter, Tannhäuser
Sie tun es nicht. Vesselina Kasarova kommt bei ihrem Rollendebüt als Venus nur schwer auf Touren, der Stimme fehlt die gewohnte Leuchtkraft. Man kann es ihr nicht verdenken bei diesem Geliebten: Peter Seiffert singt als Tannhäuser vor allem laut, jede Baustelle würde er übertönen, das Orchester sowieso. Da ist nichts mehr von der Intensität, die seinen Auftritt in der letzten Zürcher Inszenierung dieser Oper geprägt hat, sondern nur noch rohe Kraft. Stimmkontrolle? Gezielte Interpretation? Zwischentöne gar? Nein, dafür ist dieser Tannhäuser nicht zuständig.
So flüchtet man sich in der ersten Pause ins Foyer und sucht nach mildernden Umständen. Zum fünften Mal bereits inszeniert Kupfer Richard Wagners «Tannhäuser», ist es da nicht verständlich, wenn einem die Ideen ausgehen? Zumal es kein einfaches Werk ist, mit seinem doch etwas angestaubten Liebesbegriff, seinem männerbündlerischen Ton, seinen nicht immer eleganten Versen. Und die E-Gitarre immerhin wird im Programmheft ja erklärt, mit einem Verweis auf Jimi Hendrix, der eine Art Tannhäuser gewesen sein soll, ein radikaler Künstler eben, ein Aussenseiter und Sinnenmensch (ob Hendrix Golf gespielt hat? Das dann wohl doch nicht).
Oder Seiffert: Will man es ihm verdenken, wenn die Partie des Tannhäuser, die unbestreitbar zu den anstrengendsten des Tenor-Repertoires gehört, ihren Tribut fordert? Ausserdem kann er ja nichts dafür, dass der Regisseur ihn mit der E-Gitarre allein lässt. Dass da die schauspielerische Glaubwürdigkeit zur Herausforderung wird, ist klar.
Und überhaupt hatte der Abend nicht wirklich schön begonnen? Im Orchestergraben nämlich, wo Ingo Metzmacher vor dem Orchester der Oper steht. Jener Dirigent also, der in Zürich mit dem «Tristan» vorgeführt hat, wie mitreissend und doch durchdacht er Wagners Musik zu gestalten weiss. Auch in der Ouvertüre zu seinem ersten «Tannhäuser» hört man es wieder, wenn all die Konflikte des Werks schon vorweggenommen werden, wenn das Ohr zwischen Melodie und Begleitung hin- und hergerissen wird wie später Tannhäuser zwischen Venus und Elisabeth.
Dass noch nicht alle Übergänge klappen, dass die leichten Passagen etwas blutleer wirken: Das mag man mit den knappen Probezeiten erklären (erst vor einer Woche hatte Rossinis «Le Comte Ory» Premiere). Und dass das Orchester im ersten Aufzug von den Sängern niedergebrüllt wird, lässt sich in den kommenden Aufführungen korrigieren – ganz abgesehen davon, dass es seinen Reiz hat, wenn das wagnersche Kräftemessen zwischen Bühne und Graben für einmal mit dem Sieg der Bühne endet.
Tumult im TV
So setzt man sich also für den zweiten Aufzug durchaus milde gestimmt wieder auf seinen Platz – und hört eine wunderbare Elisabeth. Nina Stemme singt sie; die Schwedin war schon als Isolde unter Metzmacher eine Klasse für sich, und sie ist es auch diesmal wieder. Keine blasse Jungfrau steht da auf der Bühne, sondern eine lebendige Liebende mit einer Stimme, die alle ihre eben erst entdeckten Gefühle auszudrücken weiss.
Dass sie das in einem Fernsehstudio tun muss, lässt allerdings nichts Gutes ahnen. Und tatsächlich, Kupfer hat seinen Hunger nach Jugend noch längst nicht gestillt. Eine Castingshow muss her, «Kampf der Minnesänger» oder so, den Skandal hat Wagner ja schon eingeplant. Zwar bekäme Tannhäuser heute keine Hiebe mehr für sein Hohelied auf die erotische Freizügigkeit, aber seine vokale Performance legitimiert den Tumult durchaus. Und dass die Aufforderung zur Pilgerfahrt nach Rom in Berlusconi-Zeiten etwas doppeldeutig wirkt, dafürkönnen weder Wagner noch Kupfer etwas (die Frage allerdings, was die Pilger im TV-Studio zu suchen haben, müsste sich Kupfer gefallen lassen. Und warum trägt das Studiopublikum Abendgarderobe?).
So bleibt auch nach dem zweiten Aufzug nur noch die Hoffnung auf den dritten – und siehe da: Sie erfüllt sich über weite Strecken tatsächlich. Elisabeth wartet auf dem Bahnhof auf die Rückkehr der Pilger, und Hans Schavernochs Bühnenkonstruktion entfaltet endlich ihre grandiose Wirkung. Und wie sich Nina Stemme und Michael Volle als Wolfram auf einer Bank finden, wie er ungemein zart versucht, ihr zu helfen, wie sie diese Hilfe lächelnd ablehnt: Dieses Bild bleibt haften, und die Musik dazu berührt umso mehr, als sich hier das Orchester und die Stimmen in federnder Balance finden. So schön, so schlicht, so wahr hätte dieser «Tannhäuser» sein können.
Aber Kupfer scheint dieser Einfachheit nicht zu trauen, für den Schluss geht er nochmals aufs Ganze. Da sind sie wieder, die von Yan Tax ganz knapp eingekleideten Tänzerinnen, da klappen die Türen wieder auf und zu, da strömt der Chor, der rätselhafterweise immer noch die Abendkleider von der TV-Show trägt (noch mehr Kostüme hätte das Budget wohl nicht verkraftet). Und da ist auch wieder Tannhäuser mit seiner Gitarre, er brüllt seinen Schmerz heraus, aber den Lockungen der Venus widersteht er, obwohl Vesselina Kasarova inzwischen zu verführerischer Form aufgelaufen ist. Dann kommen die Priester, Elisabeth ist tot, der Glassarg für Tannhäuser ist auch schon bereit. Und das Publikum würdigt den Aufwand mit viel Applaus und nur ganz wenigen Buhs.
Peter Seiffert singt als Tannhäuser vor allem laut, jede Baustelle würde er übertönen, und das Orchester sowieso.