Pech im Krieg, Glück in der Liebe

Oliver Schneider, DrehPunktKultur (26.01.2011)

Le Comte Ory, 23.01.2011, Zürich

Statt in den Krieg zu ziehen, stellt Graf Ory lieber den Frauen hinterher. Die Ehemänner sind auf Kreuzzug gegen die Ungläubigen. Dafür ist ihm und seinen Gefolgsleuten jede List recht, ob als Eremit und Wunderdoktor oder Nonne verkleidet… Ein hinreissendes Plädoyer für Rossinis „Le Comte Ory“ am Opernhaus Zürich mit Cecilia Bartoli und Javier Camarena in den Hauptpartien.

Statt im fernen Mittelalter lassen das flämisch-französische Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier den schlussendlich erfolglosen „Liebesfeldzug“ im noch prüden Frankreich Anfang der sechziger Jahre spielen. Doch in der pittoresken Kleinstadt gärt es heftig. Unter anderem dank dem Eremit und Wunderheiler Ory, der in seinem Wohnwagen den von den Männern zurückgelassenen Frauen von der Liebe predigt. Genau das wollen die Frauen hören, taumeln sie doch nur so vom Glück beseelt aus Orys fahrendem Heim, das eher einem Bordell als der Klause eines Einsiedlers gleicht. Dieser hat den Blick freilich nicht auf irgendeine Frau geworfen, sondern auf die Comtesse Adèle, die in ihrem 2CV bei ihm vorfährt und um Rat fragt. Dummerweise wird der falsche Eremit von seinem ehemaligen Lehrer Raimbaud (Oliver Widmer) enttarnt, so dass der erste Eroberungskampf erfolglos bleibt…

Leiser / Caurier sorgen mit ihrer Inszenierung in den farbenprächtigen Bühnenbildern von Christian Fenouillat und Kostümen von Agostino Cavalca für eine rund zweieinhalbstündige deftige, aber nie anzügliche Maskerade, in der die Solisten und auch der Chor (Einstudierung: Jürg Hämmerli) mit Herzenslust dabei sind. Dass der Abend nur so von Lebendigkeit und Witz sprüht, liegt daran, dass er nicht nur von dem ohnehin unnachahmlich spielfreudigen Paar Ory – Adèle, Javier Camarena und Cecilia Bartoli, geprägt wird. Auch der Rest des hauseigenen Ensembles trägt einen grossen Anteil zum Erfolg bei: Rebeca Olvera als pfiffiger Page Isolier, Liliana Nikiteanu als verschrobene Vertraute Ragonde der Adèle und der Rossini-erfahrene Carlos Chausson als Gouverneur.

Für „Le Comte Ory“ griff Rossini vor allem im ersten Akt auf seine für die Krönung Karls X. entstandene Buffa „Il Viaggio a Reims“ zurück und machte daraus mit der Hilfe von Eugène Scribe und Charles-Gaspard Delestre-Poirson nach deren Vaudeville und einer Romanze aus dem 18. Jahrhundert eine echte französische Oper. Den zweiten Akt musste er allerdings mehrheitlich neu komponieren. Neu entstanden ist auch das raffiniert von sordinierten Streichern und Holzbläsern begleitete Terzett von Isolier, Adèle und Ory, an dessen Ende sich Ory in Isoliers Armen wiederfindet. Ein Höhepunkt auch in Zürich, wo für die Aufführung die gerade herausgekommene Neuedition von Damien Colas verwendet wird.

Dass der aus Shanghai stammende Muhai Tang erst am Ende seiner Zeit als Chefdirigent des Zürcher Kammerorchesters am Pult des Opernhauses steht, ist schade. Er garantiert mit dem aus Musikern des Opernhaus-Orchesters zusammengesetzten Originalklangensemble „La Scintilla“ für einen elektrisierenden Rossini. Federnd-leicht, geschmeidig und transparent führt er durch die Partitur und hat das quirlige Geschehen auf der Bühne jederzeit im Griff. Tang ist übrigens auch künstlerischer Leiter des Shanghai Philharmonic Orchestras. Den meisten Applaus heimsen naturgemäß die Bartoli und Camarena ein: Sie brilliert mit Rossinischer Gesangsakrobatik pur, er mit Geschmeidigkeit und eleganter Phrasierung. Schien die Erfolgssträhne Pereiras in Zürich zuletzt nachzulassen – blickt man auf die Zuschauerzahlen und das letzte Jahresergebnis – mit „Le Comte Ory“ ist ihm wieder ein Coup gelungen.